Einführung zur Korrespondenz von Hans Werner Henze mit Grete Weil und Walter Jockisch

Zur Korrespondenz zwischen Hans Werner Henze (1926–2012), Grete Weil (1906-1999) und Walter Jockisch (1907-1970)

Die Korrespondenz zwischen Grete Weil 1, Walter Jockisch und Hans Werner Henze umfasst 102 postalische Dokumente, von denen nur acht von Grete Weil und die übrigen 92 von Henze verfasst wurden. Zwei Telegramme von Renate Pistorius an Grete Weil (im Auftrag von Henze) vervollständigen die Korrespondenz. Henze schreibt seine Briefe häufig an Weil und Jockisch gemeinsam, doch in der frühen Zeit sind einige Briefe gezielt nur an einen von beiden gerichtet und gelegentlich wurden getrennte Briefe in einem Umschlag verschickt (vgl. z. B. die Briefe vom 11. April und 12. Mai 1950).

Die Korrespondenz erstreckt sich über die Jahre 1948 bis 1997, wobei der Schwerpunkt auf der Zeit zwischen 1948–1953 und 1959/1960 liegt.

Die Korrespondenzsprache ist deutsch, doch wechselte Henze gelegentlich in andere Sprachen. So schrieb er einen Brief und eine Karte sowie manchmal ausführlichere Absätze auf Französisch und drei Briefe und einen Neujahrsgruß auf Englisch.

Die Briefe sind im Weil-Nachlass der Monacensia und im Henze-Nachlass der Paul Sacher Stiftung Basel überliefert. Im Weil-Nachlass werden die Briefumschläge getrennt von den Briefen oder Briefkarten aufbewahrt und mussten deshalb neu zugeordnet werden, was bei nur schwer leserlichen Poststempeln und/oder undatierten Briefen nicht immer einfach war.

Die Briefe Henzes sind in dieser Korrespondenz bis auf vier alle handschriftlich verfasst und man kann in ihnen sehr gut die Entwicklung von einer anfänglich sehr klaren, recht engen Schreibschrift zu der späteren Handschrift, in der die Buchstaben eher vereinzelt und die Abstände zwischen den Worten sehr weit sind, beobachten.

Henze verwendet in der frühen Zeit generell die Kleinschreibung auch nach Satzzeichen und schreibt nur die Anredeworte (Dich, Dein, Euer etc.) groß. Später benutzt er eine gemischte Groß- und Kleinschreibung, bei der auf jeden Fall die Namen und meist auch die Satzanfänge groß geschrieben werden. Doch ist dies keine eindeutige chronologische Entwicklung: immer wieder hat Henze Phasen, in denen er einheitlich klein schreibt.

Nicht zu unterscheiden ist bei ihm das große und kleine „l“, weshalb dieses nach Gesamtkontext übertragen wird. Recht individuell ist in der frühen Zeit das kleine „z“, bei dem Henze nur sehr selten einen Querstrich schreibt und das gerade als Anfangsbuchstabe stark einem „n“ oder „s“ähnelt.

Henzes Französisch ist gut verständlich, aber grammatikalisch und orthographisch nicht fehlerfrei. Vor allem ist die Akzentsetzung sehr ‚sparsam‘; der accent grave wird nur bei kurzen Worten wie z. B. „très“, „à“ und „concrète“ verwendet, ansonsten schreibt er immer den accent aigu und verwendet den accent circonflexe gar nicht.

Postalische Dokumente von Grete Weil sind erst ab dem Tod von Walter Jockisch am 22. März 1970 erhalten (vgl. den Abschnitt „Charakterisierung der Beziehung“). Von den acht Dokumenten sind zwei Telegramme und je drei Briefe hand- bzw. maschinenschriftlich. Grete Weils Handschrift ist (und war wohl immer) schwer zu lesen, wie Henze gleich im ersten erhaltenen Brief beklagt („ta lettre etait prèsque inlisible“), weshalb Grete Weil die Schreibmaschine bevorzugte. Um sich einen Eindruck von Grete Weils Handschrift zu verschaffen, vgl. man die Abbildung in der Biographie von Lisbeth Exner auf S. 115.

Hans Werner Henze (in chronologischer Reihenfolge)

Grete Weil

Walter Jockisch

Wie schon erwähnt, ist der Briefwechsel Weil/Jockisch-Henze sehr einseitig überliefert, da die Gegenbriefe aus der intensiven Zeit des Austausches zwischen 1948 und 1960 verloren und erst ab dem Tod von Walter Jockisch 1970 einige Briefe Grete Weils erhalten sind. In der frühen Zeit erklärt Henze die Verluste aller an ihn gerichteter Briefe mit seinen zahlreichen Umzügen, bei denen auch Koffer u. a. mit Korrespondenz verloren gegangen seien. Der Briefwechsel endet in Henzes Nachlass (Paul Sacher Stiftung) mit der Todesanzeige von Grete Weil, in ihrem Nachlass (Monacensia) mit dem Brief vom 30. November 1993 mit Anmerkungen zur Autobiographie, obwohl die postalischen Dokumente von Grete Weil nahe legen, dass Henze mindestens zu ihrem 90. Geburtstag am 18. Juli 1996 noch einmal persönlich geschrieben haben muss.

Gerade die frühen Briefe sind stark geprägt von der privaten und beruflichen Entwicklung Henzes verbunden mit interessanten Einblicken in die ersten Ferienkurse in Darmstadt und in den Wiederaufbau des Theaterlebens nach dem 2. Weltkrieg vor allem an den Wirkungsstätten Henzes in Göttingen, Konstanz und Wiesbaden bzw. Walter Jockischs in Stuttgart, Hannover, aber auch in Berlin. Ein besonderer Schwerpunkt liegt in dieser Zeit auch in der Beschreibung der deutschen, französischen und englischen Ballettszene.

Darüber hinaus gewähren die Briefe einen sehr privaten Einblick in Henzes Persönlichkeit um 1950. Für diesen Zweck wechselt Henze manchmal auch die Sprache: So schrieb er den ersten erhaltenen Brief auf französisch, ebenso eine Karte vom 21. April 1952. Außerdem wechselte er häufiger bei „delikaten“ Themen ins Französische, so z. B. ausführlich in dem Brief von Anfang November 1951. Für die Verwendung der englischen Sprache in einigen Briefen lässt sich nur selten ein inhaltlicher Grund, wie z. B. in dem Brief vom 27. November 1977, benennen.

In den wenigen späten Briefen sind in den 70er Jahren auch zwei mit dezidiert politischen Äußerungen; vgl. die Briefe vom 8. April 1974 und vom 27. November 1977.

Grete Weil und Walter Jockisch lernten Hans Werner Henze bei den Ferienkursen für Neue Musik kennen, die seit 1946 jährlich auf Schloss Kranichstein bei Darmstadt (später in der Stadt Darmstadt) stattfanden, kennen. Walter Jockisch war bis Anfang 1948 Intendant des Darmstädter Theaters und Grete Weil war Ende 1947 aus Amsterdam zu ihm, ihrem Jugendfreund, gezogen.2 Ihr Mann, Edgar Weil, war am 17. September 1941 in Mauthausen ermordet worden und sie selbst hatte die Judenverfolgung in Amsterdam zuerst tätig im Jüdischen Rat, zuletzt im Versteck, überlebt.

Sie schreibt dazu:

„Ich ging in keine Einsamkeit, ich ging zu einem Mann, der mich erwartete, meinem Jugendfreund Walter Jockisch. Da er, der Opernregisseur geworden war, Deutschland nie verlassen hatte, besaß er einen großen Freundeskreis, der bald auch der meine wurde. Ich war integriert, fühlte mich nicht ‚fremd im eigenen Land‘ und hatte es so ungleich leichter als die meisten anderen Remigranten.“
(zitiert nach: Marielouise Janssen-Jureit (Hg.), Lieben Sie Deutschland?, München 1985, S. 54–60, hier: S. 56)

Die Zeit der Judenverfolgung und der grausame Verlust ihres ersten Mannes prägten nicht nur Grete Weils literarische Arbeiten, sondern auch ihr Leben, obwohl dies wohl selten Gesprächsthema gegenüber Henze war, denn dieser schreibt am 28. September 1993:

„Ich würde gerne mehr wissen über Deine Familie und Dich in der Nazizeit – es war ja immer so eine Art Tabú, eine Scheu da, sodass ich nie gewagt habe, nachzufragen – jetzt aber, wo ich auf ganz korrekte Berichterstattung achten muss, wären mir genaue Kenntnisse wichtig.“

Da die Ferienkurse in Darmstadt im Sommer stattfanden, müsste der Kontakt bereits im Sommer 1947 zustande gekommen sein, da der erste erhaltene Brief Henzes vom 9. April 1948 datiert und bereits eine gewisse Vertrautheit erkennen lässt. Im Ferienkurs 1947 ist Walter Jockischs aktive Teilnahme belegt: Es erklang die Uraufführung der Neufassung von Carl Orffs Der Mond (20. Juli 1947) unter seiner Regie und es wurde seine Inszenierung von Strawinskys Histoire du soldat (24. Juli 1947) gezeigt. Andererseits erklangen bei diesen Ferienkursen erstmals Werke von Hans Werner Henze, der von 1945–1948 bei Wolfgang Fortner in Heidelberg studierte und seinen Lehrer von Anfang an zu den Ferienkursen begleitete. Am 27. Juli 1947 erlebten sowohl Henzes Sonatine für Flöte und Klavier als auch der 2. Satz seiner 1. Sinfonie ihre Uraufführung.

Ob Grete Weil auch an diesen Kursen 1947 teilgenommen hatte, lässt sich nicht belegen, doch sind Aufenthalte in Deutschland vor ihrer endgültigen Rückkehr erwähnt und sie beschreibt den Erstkontakt ebenfalls in Darmstadt, aber für das Jahr 1948 (vgl. Weil, „Über meine Zusammenarbeit mit Henze“ .

Trotz des recht großen Altersunterschieds von 20 Jahren müssen sich Weil/Jockisch und Henze von Anfang an gut verstanden haben: Schon der erste Brief Henzes an Grete Weil zeugt von einer grundsätzlichen Übereinstimmung. In seiner Autobiographie beschreibt Henze das Verhältnis folgendermaßen:

„Das Schönste mit Walter und Grete war, daß man ihnen alles, aber auch alles erzählen und vorjammern konnte, was man wollte. Sie verwöhnten einen, und sie ließen einem alles durchgehen, was man so an Ungezogenheiten zu bieten hatte. Entweder fühlten sie sich nicht erziehungsberechtigt, oder sie betrachteten meinen Fall als hoffnungslos. Aber gerade deswegen schätzte ich die beiden ja so sehr!“
(vgl. Autobiographie, S. 115)

In seinem Kondolenzbrief anlässlich des Todes von Walter Jockisch differenziert Henze jedoch:

„Eine Heldin der Liebe musst Du sein. Ich habe mich oft über Dich gewundert, habe dich bewundert – deshalb fällt mir in diesem Brief auch hauptsächlich zu Dir was ein. Hatte vor Butzi immer etwas Angst dass er mich anschreien würde oder sonstwie die schlechte Stimmung an mir etc. weil ich das nicht ertrage, hauptsächlich wegen der zu befürchtenden finalen Reaktion von mir die selten vorkommt aber fürchterlich ist. Also so war das.“
(Brief vom 26. April 1970)

Und in ihrem letzten Brief, mit dem sie sich für die Glückwünsche zu ihrem 90. Geburtstag bedankt, schreibt Grete Weil:

„Du warst mir so nah in diesen letzten Tagen. Durch Deine Worte, durch Deine Blumen, die unter den vielen weitaus die schönsten waren; durch die Erinnerungen, die bei uns bestimmt verschieden sind. Du warst in den Jahren des häufigen Zusammenseins so etwas wie ein besonders geliebter Sohn für mich, den ich mir so begabt wie Dich, immer gewünscht hatte.“
(Brief vom 26. Juli 1996)

Henze hat Grete Weil und Walter Jockisch anfangs selbstverständlich gesiezt (wobei auch in den frühen Briefen, gerade gegenüber Grete Weil gelegentlich ein Du einfließt), aber nachdem er im Sommer 1949 erstmals (mit seinem Freund Heinz Poll) in deren Ferienhaus in Egern war, wechselt die Anrede auf beiden Seiten zum „Du“. Ab 1950 setzen sich die Anreden mit „Butza“ für Grete Weil und „Butzi“ für Walter Jockisch durch, und spätestens mit der Zusammenarbeit an Boulevard Solitude und der gemeinsamen Reise nach Italien 1951 wird der Tonfall sehr vertraut und Henze erlaubt sich auch Anreden wie „liebes äffisches pack“ (Brief nach dem 10. November 1950) oder „lieber affenschwanz“ (Brief vom 12. August 1950 ). Henze unterschreibt seine Briefe ab dieser Zeit fast immer mit „hänschen“, gelegentlich auch mit „häschen“ (vgl. den Brief vom 23. Mai 1950).

Die frühen Briefe, die wegen der vielen beruflichen Fragen vornehmlich an Walter Jockisch gerichtet waren, sind stark von der Etablierung Henzes und seinen ersten Theaterengagements in Konstanz und Wiesbaden sowie den Erfahrungen mit der Ballettszene geprägt. Doch mischen sich auch in diese Briefe immer ganz private Mitteilungen (vgl. z. B. den Brief Anfang Oktober 1949), die einen tiefen Einblick in die Probleme Henzes um 1950 geben, wobei seine Antworten erkennen lassen, wie wichtig ihm, auch im Persönlichen, die Antworten von Jockisch waren („auf Deinen brief hin sehe ich erst, dass ich die zeit zum schreiben einfach haben muß.“; Brief Ende November 1949), weshalb es um so bedauerlicher ist, dass all diese Briefe verloren gegangen sind. Diese frühen Briefe lassen auch nicht die ‚Angst‘ gegenüber Walter Jockisch erkennen, die Henze nach dem Tod in dem erwähnten Kondolenzbrief an Grete Weil beschreibt.

Immer wieder geht es dabei auch um Henzes prekäre finanzielle Situation, aus der ihm Weil/Jockisch häufig herausgeholfen haben, doch fasst Henze die Beziehung kurz vor der Premiere von „Boulevard Solitude“ folgendermaßen zusammen:

„on the way back I had time to think about the last days in Hannover and I came to the very striking result that you and he are really fine people, and that I feel a thankfulness for you which does not mean hotel bills etc. but something more, confidence and humanity.“
(Brief vom 9. Februar 1952)

Der intensive briefliche und auch persönliche Kontakt zwischen Weil/Jockisch und Henze reicht bis 1953 (58 postalische Dokumente). Vielleicht wurde der Kontakt anschließend lockerer, weil Henze nach Italien zog. Ein weiterer engerer Austausch fand aus Anlass der Aufführung von König Hirsch in Darmstadt und einem Treffen in Ascona in den Jahren 1959/1960 (14 postalische Dokumente) statt. Anschließend werden die Kontakte seltener, brechen aber (im Gegensatz z. B. zu der Korrespondenz mit Enzensberger ) nie ab, denn offensichtlich hatte die intensive frühe Zeit eine unverbrüchliche Basis gelegt:

„während der Aufführung [„Boulevard Solitude“ in München] ist es mir aufgegangen, dass es natürlich kein Privatbrief von mir an dich war, sondern ein Liebesbrief, einer der innigsten, die ich je geschrieben habe und ganz ganz sicher der, bei dem am meisten herausgekommen ist. Wir haben beide seit jeher viel von der Trauer der Liebe (und der Verlogenheit der Bürger) verstanden – unser Kind ist richtig und gut.“
(Brief von Grete Weil am 18. März 1974)

weiterführende Literatur
Autobiographie S. 93, 106f., 113–115, 123f., S. 129
Weil: Über meine Zusammenarbeit mit Henze (Programmheft München 1974)

Boulevard Solitude

Auf Grund der Zusammenarbeit bei Henzes erster Oper Boulevard Solitude waren die Namen von Grete Weil und Walter Jockisch in der Henze-Forschung immer präsent, auch wenn andere Librettistinnen und Librettisten wie Ingeborg Bachmann, Auden/Kallman und Edward Bond mehr Beachtung gefunden haben.

Die Briefe Henzes bis zur Uraufführung von Boulevard Solitude enthalten zahlreiche Informationen zu der Oper, doch behandeln sie nicht wie in den Briefwechseln mit Enzensberger (La Cubana) oder Auden/Kallman (Elegie für junge Liebende, Bassariden) detaillierte Fragen zu einzelnen Textabschnitten etc.

Wie gleich der zweite erhaltene Brief vom 17. Mai 1948 deutlich macht, müssen Weil/Jockisch und Henze unmittelbar nach dem Kennenlernen Pläne für eine gemeinsame Oper gefasst haben. Leider lassen sich aus den Briefen nicht alle Stufen – ausgehend von der hier geäußerten Idee Rouge et Noir von Stendhal als Stoff zu wählen bis zur endgültigen Entscheidung für den Manon-Stoff – nachverfolgen, da auf Grund der räumlichen Nähe zwischen Heidelberg und Darmstadt bzw. Stuttgart und trotz des Aufenthaltes von Henze 1949 in Göttingen vieles mündlich besprochen worden ist. Sowohl Grete Weil als auch Henze beschreiben, dass letztlich Henze die Idee zu diesem Stoff hatte (vgl. Viehöver, S. 30f.). Erstmals wird der Stoff Manon Lescaut am 13. Januar 1950 erwähnt, doch auch hier wird betont, dass die Ideen persönlich besprochen werden sollen.

Die Informationen zur weiteren Entstehung der Oper werden im Folgenden chronologisch aus den Briefen zusammengestellt:

  • Mitte April 1950: Henze erwähnt, dass er Bilder zu Manon im Kopf habe: „unsere manon, dieses gebilde aus zartem draht, blauen pastellenen tönen, zarten orchesterklängen, sie spukt auch in meinem kopf. ich traf oestergaard. den modekönig von berlin, er ist bereit zu den futuristischen kostümen, von denen ich träume.“
  • 12. Mai 1950: Nach dem Selbstmordversuch plant Henze Juni bis August 1950 in Egern zu sein und an der Manon zu arbeiten.
  • 23. Mai 1950: Diese Zeitplanung wird bestätigt (Grete Weil ist schon mit dem Libretto beschäftigt): „ich möchte die oper in egern in einem zuge komponieren“.
  • Aufenthalt in Egern 7 Juli bis Mitte August 1950: Eine intensive Phase der Arbeit an der Oper, auch wenn die Oper in diesem Sommer noch nicht fertig wurde, wie anfangs von Henze geplant.
  • 12./19. August 1950: Bei der Abreise aus Egern ist das Libretto fertig und auch schon einige Musik.
  • nach 10. September: Das 3. Bild ist fertig und das nachfolgende Zwischenspiel; erste Gespräche mit der Presse zu der Oper.
  • 27. 11. 1950: 4. Bild fertig; die Oper wird schon bei Schott angezeigt.
  • Anfang Januar 1951: Henze konnte wegen zu viel Theaterarbeit die Oper noch nicht abschließen, aber die ersten Bilder gehen schon zu Schott, um den Klavierauszug anzufertigen.
  • 10. Februar 1951: Er will nach seinem Umzug die Oper abschließen; erstmals ist ein Vertrag erwähnt; der Beginn der Komposition des Morphium-Tanzes wird angekündigt.
  • 20. März 1951: Manon ist fast fertig; im Vertrag mit Schott sind 20% für Grete Weil geplant.
  • April 1951: Arbeit am 6. Bild, erstmals ist der endgültige Titel genannt; Details zum Vertrag sind erwähnt. Henze betont, dass Jockisch auf dem Titel ebenfalls genannt werden werde.
  • 12. Juni 1951: Erstmals wird Hannover als Ort der Uraufführung erwähnt; Henze besteht in Hannover auch auf Jean-Pierre Ponnelle für die Ausstattung. [In früheren Briefen hatte Henze immer wieder betont, dass er die Oper nur mit Jockisch als Regisseur machen werde.]
  • 4. September 1951: Klavierauszüge werden in ca. 14 Tagen geschickt

Zur Uraufführung:

  • Mitte Oktober 51: Besuch in Hannover wegen der Bühne; erste Entwürfe von Ponnelle sind fertig.
  • Anfang November 1951: Proben beginnen.
  • 27. November 1951: Besetzungsprobleme in Hannover? „aber ich muss darauf bestehen, dass meine oper - trotz - trotz - trotz - provinzial hauptstadt eine grosse broadway - champs elysées kudamm timesquare wolke wird. daher verlange ich zwei STARS für die hauptrollen und wirkliche kunstvolle petipa-choreographie.“
  • 18. Januar 1952: Henze kann aus Geldmangel nicht zur Premiere nach Hannover kommen (vorher schon Geldprobleme angedeutet).
  • 9. Februar 1952: Äußerungen zur Inszenierung von Walter Jockisch auf Grund von Probenbesuchen.
  • Anfang März 1952: Rezensionen werden verschickt.

D. h. nach der im Januar 1950 erfolgten Festlegung, den Manon-Stoff zur Oper zu gestalten, war der Libretto-Text Mitte August fertig gestellt. Das Szenarium von Walter Jockisch (vgl. Autobiographie S. 113) muss spätestens zu Beginn des gemeinsamen Aufenthalts in Egern, also Anfang Juli 1950 vorgelegen haben. In der Annahme, dass Henze auch diese Oper – wie später immer belegt – am Libretto entlang komponiert hat, war diese bis September bis zum 3. Bild fertig, das 4. Bild entstand bis Ende November 1950, das 6. Bild aber erst im April 1951. Das genaue Datum des Abschlusses der Komposition wird nicht genannt. Nach Henzes Angaben in der Autobiographie, S. 120, wurde die Oper in Paris im Café Flore beendet. Da aber die Klavierauszüge bereits im September 1951 angekündigt wurden, muss Boulevard Solitude wohl spätestens Ende August 1951 abgeschlossen gewesen sein. Die folgenden Erwähnungen der Oper betreffen dann die Vorbereitung der Uraufführung in Hannover.

Vom 7. November 1952 bis 23. Februar 1953 ist in den Briefen von der Funkfassung von Boulevard Solitude die Rede. Vgl. hierzu Wagner S. 290–293. Wagner spricht davon, dass Just Scheu die Oper zur Funkoper eingerichtet habe.

Die Briefe vom 18. März und 8. April 1974 reflektieren den gemeinsamen Besuch der Aufführung von Boulevard Solitude in München. Erneut hatte Jean-Pierre Ponnelle die Oper ausgestattet und diesmal auch inszeniert – eine Inszenierung, die sowohl Grete Weil als auch Henze nicht überzeugt hat (vgl. Max W. Busch S. 330f. und 372).

weiterführende Literatur:
Vera Viehöver, „,Warum wir eine Manonoper schrieben‘. Grete Weil und Hans Werner Henze“, in: Text + Kritik IV/09 = Bd. 182 „Grete Weil“, S. 29–43.
Autobiographie S. 113, 129-131.
Weil, Warum wir eine Manon-Oper schrieben .

Autobiographien

1993 treten Weil und Henze noch einmal in einen engeren Austausch, bei dem die Autobiographien beider im Mittelpunkt stehen, wobei es inhaltlich nur um Henzes Autobiographie geht, da die Autobiographie Weils 1947, mit der Rückkehr nach Deutschland, also vor dem Kontakt zu Henze endet. Henze hat Grete Weil jedoch das 4. Kapitel seiner Autobiographie vorab zur kritischen Lektüre geschickt und von dieser auch kritische Anmerkungen zurückerhalten, die leider verloren sind. Henze sandte ihr daraufhin einige korrigierende Rückmeldungen. Es ist möglich, dass Grete Weil in diesem Zusammenhang die aufbewahrten Briefe durchgesehen und evtl. einige der nachträglichen Datierungen mit Bleistift vorgenommen hat.

Theaterszene um 1950

Vielleicht auf Grund des Kontakts zu Weil/Jockischs und der Tatsache, dass seine ersten Lebensgefährten Tänzer waren, war Henzes Interesse zu Beginn der Korrespondenz ganz auf das Theater ausgerichtet. Er erhielt am Theater (Konstanz 1949, Wiesbaden Herbst 1950–Sommer 1952) auch seine ersten Stellen und verbrachte nicht nur seine vollständige Freizeit mit dem Besuch von Aufführungen, sondern komponierte in dieser Zeit fast ausschließlich für die Bühne.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass sich ein Großteil des Briefwechsels – neben den bereits erwähnten häufigen Darstellungen und Klagen zur persönlichen Situation Henzes – mit dem Theaterbetrieb der Zeit auseinandersetzt. Man besuchte sich gegenseitig zu wichtigen Premieren und Uraufführungen, erzählte sich von besuchten Aufführungen, sprach über Personen und geriet selten in Richtung Tratsch – all dies ist leider nur aus Henzes Perspektive dokumentiert. Tratsch schien Henze nicht zu mögen, denn im Oktober 1951 schrieb er an Walter Jockisch: „Deine bemerkungen über p. und m. sind ein typisch berliner trinen-geschwätz, dem ich keinen wert beilegen möchte“.

Henze scheint sich in die Welt des Theaters schnell eingearbeitet zu haben, denn sehr bald gibt er auch Urteile über Stücke aller Gattungen und deren Inszenierungen ab.

Die Briefe Henzes sind damit auch wichtige Dokumente für diese bis heute theatergeschichtlich schlecht erschlossene Zeit. Wegen der zahlreichen, aber sehr verschiedenen Einzelheiten, die Henze beschreibt, und da diese oft nur Schlaglichter auf z. T. zufällige Situationen werfen, wird hier auf eine Art ‚Zusammenfassung‘ verzichtet.

Auf Grund der Fülle von angesprochenen Theaterdetails, die aber z. T. nicht eindeutig zu verorten sind, ergaben sich auch recht große Probleme für die Kommentierung: Da die Tageszeitungen dieser Zeit aus urheberrechtlichen Gründen noch wenig digitalisiert sind und die übergeordneten Zeitschriften wie Melos und Theater der Zeit zwar häufig die Premieren besprechen, aber mit konkreten Daten sehr zurückhaltend sind und keine Folgeaufführungen erwähnen, sind Aufführungsdaten nur mit Einsicht in die Tageszeitungen vor Ort oder Rückfragen bei den einzelnen Theatern zu bestimmen – eine Rechercheaufwand, der nicht in allen Fällen zu leisten war.

weiterführende Literatur:
Günther Rühle, „Theater in Deutschland 1945–1966“ [Schwerpunkt Schauspiel]
O. F. Regner, „Das Ballettbuch“, Frankfurt a/M/Hamburg 1954.
Klaus Geitel, „Hans Werner Henze“, Berlin 1968.

Irmlind Capelle, im April 2024

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