Einführung zur Korrespondenz von Hans Werner Henze, Wystan Hugh Auden und Chester Kallman

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Einführung zur Korrespondenz von Hans Werner Henze, Wystan Hugh Auden und Chester Kallman

Grundangaben zur Korrespondenz

Aufbewahrungsort

Die postalischen Dokumente der Korrespondenz zwischen Hans Werner Henze (1926–2012) mit den Librettisten Wystan Hugh Auden (1907–1973) und Chester Kallman (1921–1975) werden in der Paul Sacher Stiftung in Basel unter den Korrespondenzen der Sammlung Hans Werner Henze in zwei getrennten Mappen aufbewahrt.

Auden und Kallman waren seit 1932 bis zu Audens Tod ein Paar und arbeiteten künstlerisch eng zusammen. Gemeinsam verfassten sie die Libretti für Igor Strawinskys Oper The Rake’s Progress (1951), für Henzes Opern Elegy for Young Lovers (1961) und The Bassarids (1966), für Nicolas Nabokov erarbeiteten sie das Libretto Love’s Labour’s Lost (1973). Im Sommer 1951 traf Henze beide zum ersten Mal in Forio (einer kleinen Gemeinde im Westen der Insel Ischia). Dort verbrachten Auden und Kallman, die in New York wohnten, von 1948 bis 1958 regelmäßig den Sommerurlaub.

Aufgrund der Tatsache, dass die Librettisten zusammenlebten, schrieb Henze in den Briefen oft an beide. Die Briefe, die von beiden ggf. einzeln verschickt wurden, sind meist auch von beiden unterzeichnet. Thematisch sind alle drei eng in den Entstehungsprozess der Opern Elegy for Young Lovers (1961), The Bassarids (1966) und Moralities (1967) eingebunden. Die Briefe von Auden und Kallman sind chronologisch geordnet, werden aber in einem Korrespondenzblock abgebildet, um die künstlerische Arbeit bei der Entwicklung der gemeinsamen Werke transparent zu machen.

Umfang

Der Briefwechsel zwischen Henze, Auden und Kallman umfasst 61 postalische Dokumente (darunter 53 Briefe und 8 Telegramme), 20 davon stammen von Henze (darunter 2 von zwei Henzes Mitarbeitenden, Renate Praetorius und Wolfgang Eisermann), 22 nur von Auden, 12 nur von Kallman, und 7 von Auden und Kallman zusammen. Teilweise enthalten die Briefe Beilagen, die in engem Zusammenhang mit dem jeweiligen Brief stehen, z. B. eine Skizze für eine Szene aus einer Oper oder Gedichte.

Zeitraum

Die Korrespondenz begann im Januar 1959 mit der positiven Antwort von Auden/Kallman auf Henzes Anfrage, gemeinsam eine Oper zu schreiben, deren Thema noch zu definieren war. Auf dem Brief vom 6. Januar 1959, vermerkte Henze „1st letter from Auden – Kallman ever“. Der thematische Schwerpunkt des ersten Teils der Korrespondenz (von 1959 bis 1961) ist die Oper Elegy for Young Lovers (Elegie für junge Liebende), die am 20. Mai 1961 im Schlosstheater Schwetzingen in Baden-Württemberg uraufgeführt wurde. Anlässlich der Erstaufführung in englischer Sprache in Glyndebourne, England, schlug Auden Henze vor, eine große Oper auf der Grundlage von EuripidesDie Bakchen zu komponieren. Henze erinnerte sich an diesen Vorschlag, als ihm zwei Jahre später die Salzburger Festspiele anboten, eine Oper für das Große Festspielhaus zu komponieren (vgl. Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 254). Im Sommer 1964 begann die Arbeit an The Bassarids, die sich über zwei Jahre hinzog und das thematische Zentrum des zweiten Teils des Briefwechsels zwischen den drei Autoren (von 1964 bis 1966) nach einer Pause in der Korrespondenz zwischen 1961 und 1964 bildet.

Nach der Uraufführung von The Bassarids am 6. August 1966 in Salzburg blieben Henze, Auden und Kallman weiterhin in Kontakt, u. a. um Moralities, drei ‚szenische Spiele‘ von Auden nach Fabeln von Aesop zu konzipieren. Diese wurden am 18. Mai 1968 beim May Festival in Cincinnati uraufgeführt. Der letzte Brief, in dem Auden Henze einige Korrekturen am Libretto von Moralities zukommen lässt, ist auf den 11. November 1967 datiert.

Sprache

Die Hauptsprache der Korrespondenz ist Englisch, aber die drei Autoren verwenden gelegentlich Ausdrücke in anderen Sprachen, wie Deutsch, Italienisch und Griechisch. Außerdem wurden 3 Telegramme auf Italienisch und 2 Briefe von Henzes Mitarbeitenden auf Deutsch verfasst. In dieser zweisprachigen (Englisch und Deutsch) digitalen Edition werden Wörter und Ausdrücke, die in anderen Sprachen als Englisch und Deutsch notiert sind, auch ins Englische übersetzt. Zuweilen schreibt Henze auch englische Wörter falsch: Er buchstabiert zum Beispiel das Wort „program“ mit zwei „m“ statt nur einem.

Schreibeigenheiten der Korrespondenzpartner

Die Korrespondenz zwischen Auden/Kallman und Henze ist uns nur aus dem Nachlass Henzes (nicht aus einem Nachlass von Auden/Kallman) bekannt, daher sind von den Briefen Henzes nur die Durchschläge der maschinenschriftlichen Originale erhalten. Warum Henze diese Briefe mit der Maschine schrieb – er bevorzugte es eigentlich, per Hand zu schreiben – ist nicht bekannt: Vielleicht wollte er bewusst eine Kopie für sich behalten. Dies war in dieser Zeit nur maschinenschriftlich möglich, da sich Photokopien im privaten Bereich erst in den 1970er Jahren durchsetzen. Bei einer der von Auden und Kallman benutzten Schreibmaschinen scheint die Zahl „1“ nicht vorhanden gewesen zu sein, denn sie wurde durch ein großes „I“ ersetzt (vgl. z. B. diesen Brief). Ebenso hatte eine ihrer Schreibmaschinen keine Buchstaben mit Umlaut, der daher in einigen Wörtern fehlt und hier nicht mit [sic] gekennzeichnet ist (vgl. z. B. Kallmans Brief an Henze vom 6. Juli 1963). Sowohl Auden als auch Kallman schreiben den Apostroph oft zwischen Wörtern wie „doesn’t“, „it’s“, „won’t“, „person’s“ nicht. Beide Librettisten korrigieren oft die maschinengeschriebenen Briefe entweder von Hand und fügen Erläuterungen hinzu, wahrscheinlich während des Lesens, bevor sie sie an Henze schickten. Im Gegensatz dazu sind Henzes Durchschläge nicht kommentiert, da sie als Kopien für Henze selbst dienten.

Schreibeigenheiten von Henze

Alle 18 Briefe Henzes, die in der Korrespondenz Auden, Kallman, Henze erhalten sind, sind als Durchschläge erhalten, daher sind sie mit der Schreibmaschine geschrieben. Diese Briefe sind gelocht, da möglicherweise zum Sammeln und Aufbewahren gedacht waren. Henze verwendet eingerückte Absätze und setzt oben doppelte Anführungszeichen. Insgesamt verwendet Henze viel mehr Bindestriche als normalerweise im Englischen üblich.

Schreibeigenheiten von Auden

Audens Handschrift ist nicht präzise und seine handschriftliche Briefe sind schwer zu entziffern. Audens Unterschrift ist durch einen Querstrich von unten nach oben unter dem Namen geprägt. Das Layout von Audens Briefen ist sowohl im Manuskript als auch im Typoskript dadurch gekennzeichnet, dass die Grußformel (z.B. „Dear Hans“) und die Schlussformel (z.B. „love“) stark eingerückt, fast zentral stehen. Ab 1964 verwendet Auden häufig ein persönliches Briefpapier aus Kirchstetten mit dem Wasserzeichen Martle Myll.

Schreibeigenheiten von Kallman

Die meisten von Kallmans Briefen sind maschinengeschrieben. In den 2 handschriftlichen Briefen, einer handschriftlichen Tabelle sowie in den verschiedenen Eintragungen auf maschinengeschriebenen Briefen ist Kallmans Handschrift extrem klein und dicht (vor allem dann, wenn auf der Seite nur noch wenig Platz war), aber präzise und gut lesbar. Der Buchstabe „t“ scheint immer als Großbuchstabe angelegt, auch wenn er kleingeschrieben werden sollte. Kallman verwendet in seinen handschriftlichen Briefen doppelte Anführungszeichen, während er beim Maschinenschreiben einfache Anführungszeichen verwendet. In Kallmans maschinengeschriebenen Briefen stehen immer zwei Leerzeichen nach einem Punkt und mehrheitlich auch nach einem Semikolon. Nebensätze werden häufig mit einem doppelten Bindestrich „--“ abgetrennt. Auch die Unterschrift von Kallman enthält einen Unterstrich. Ab 1964 verwendet Kallman häufig dasselbe Briefpapier von Auden mit einem Wasserzeichen von Martle Myll.

Das Arbeitsteam Henze, Auden und Kallman

Gemeinsame Projekte

Werke der Korrespondenzpartner, die nur erwähnt werden

Werke von Henze

Werke von Auden

Werke von Auden und Kallman

Charakterisierung der Beziehung zwischen Auden, Kallman und Henze

Die Korrespondenz zeigt, dass Henze, der 19 Jahre jünger als Auden und 5 Jahre jünger als Kallman war, von Anfang an ein von großem Respekt und Wertschätzung geprägtes Verhältnis zu dem anglo-amerikanischen Paar hatte: Die beiden hatten mit dem Libretto zu Strawinskys The Rake’s Progress bei der Uraufführung in Venedig am 11. September 1951 einen großen Erfolg erzielt. Außerdem machte Audens „long poem“ The Age of Anxiety (1947) auf Henze „einen enormen Eindruck“ (Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 125). In seiner Autobiographie stellt der Komponist seine erste Begegnung mit den Briefpartnern in Forio folgendermaßen dar:

Ich kann mich nicht erinnern, wie wir uns kennenlernten – ambitiös, wie ich war, habe ich wahrscheinlich meine Schüchternheit überwunden und mich einfach vorgestellt –, jedenfalls ist mir damals einmal oder zweimal die besondere Ehre widerfahren, an Audens Stammtisch im Café Maria Internazionale zu sitzen und zuzuhören, wie er […] über sein liebstes Thema, die Oper, vortrug.
Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 126

Er beschreibt hier auch, wie das Librettistenteam funktionierte:

Wir waren in den ischitanischen Jahren Freunde geworden, so daß ich ein wenig Einblick hatte nehmen können in die Art und Weise, wie das Librettistenteam Auden/Kallman funktionierte. Die beiden hatten beim Librettodichten einen egalitären intellektuellen Diskurs miteinander, der den ganzen Arbeitstag anhielt und sich von Zeit zu Zeit in Wörtern und Sätzen niederschlug. Es war sehr interessant, dabeizusein und zuzuhören.
Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 203

Henze schrieb in einem Brief vom 27. August 1964 an Auden (nach bereits drei Jahren enger Zusammenarbeit): „First of all I was very proud to have a letter by the master himself“. Trotzdem pflegen sie einen offenen Umgang miteinander im Briefwechsel, sobald sie über ihre Werke diskutierten. Ihrerseits beglückwünschen die beiden Librettisten Henze freudig zu seiner Musik und ihren gemeinsamen Leistungen (vgl. z. B. diese Briefe). In kurzer Zeit entstand also eine gleichberechtigte Freundschaft, die von echtem Interesse an der Meinung des Gegenübers geprägt war.

Zu den gemeinsamen Werken

Elegie für junge Liebende

Der Ort der ersten Begegnung zwischen Henze, Auden und Kallman, das Dorf Forio auf Ischia, wurde im ersten Brief von den Librettisten an den Komponisten genannt. Dabei wurde Forio zum imaginären Dorf im frühen 20. Jahrhundert, in dem die Handlung einer gemeinsam zu schaffenden Oper spielen könnte. Der Brief ist nicht erhalten, Henze berichtet jedoch in seiner Autobiographie, dass er im Dezember 1958 an Auden nach New York „mit der bescheidenen Frage“ schrieb, ob dieser, mit oder ohne Kallman, für ihn arbeiten wolle (Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 201–202). Über die positive Reaktion der Librettisten informierte Henze auch die Freundin Ingeborg Bachmann, an die er schrieb: „Auden hat mir auch seine librettistenkünste angeboten“ (Bachmann und Henze, Briefe einer Freundschaft, S. 215).

Nach diesem ersten Schriftverkehr begann eine intensive Zusammenarbeit, die zu der ersten gemeinsamen Oper Elegie für junge Liebende führte, allerdings nicht dem Thema entsprach, das Auden und Kallmann im ersten Brief an Henze vorgeschlagen hatten. Für die gemeinsame Arbeit trafen sich Auden, Kallman und Henze im Sommer 1959 bei Auden und Kallman in Kirchstetten in ihrem Haus in Österreich, das beide seit 1959 jährlich besuchten. Dort erzählte Henze den beiden von seiner musikalischen Idee für Elegie für junge Liebende: Wie Auden und Kallman berichten, wollte Henze eine „chorlose Kammeroper für kleine Besetzung und für kleines, differenziertes Orchester“ schreiben. Die Handlung sollte außerdem „zarte[n] Klänge erforder[n]“ (Auden und Kallman, „Geburt eines Librettos“, in: Elegy for Young Lovers, S. 61–64). Instrumente sollten bestimmte Figuren der Oper begleiten und mit ihren Klangfarben charakterisieren, während einige realistische Klangelemente – wie etwa das Läuten einer Standuhr oder der Pfiff des Zuges – sollten die bedeutsamen Momente in der Dramaturgie kennzeichnen. Der Austausch über musikalische Vorschläge, literarische Ergänzungen und Kürzungen des Librettos funktionierte kontinuierlich gleichberechtigt, von Henze im Rückblick als „Dreierpingpong“ (Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 204) empfunden, das von der Wahl der Namen der Figuren und der Handlungsorte bis zu musikalischem Tempo und der Stimmung von Szenen reicht. Die Ausarbeitung des Librettos für Elegie für junge Liebende war begleitet von Henzes durch Briefe belegte Anregungen (vgl. z. B. diesen Brief) und durch Henzes Erinnerungen von persönlichen Treffen in seiner Autobiographie. Dort berichtet er beispielweise, dass die „Wünsche und die Beschreibung der von mir imaginierten Musik ernstgenommen werden“ (Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 204).

Ein Entwurf des Librettos muss Henze bereits vor oder im August 1959 zugegangen sein, denn in einem Brief an Bachmann vom 27. August 1959 schreibt Henze nach einem gemeinsamen Treffen in Ascona, sie solle ihm so bald wie möglich das „Auden-Gedicht“ zukommen lassen. Dieses „Auden-Gedicht“ wurde dann Henzes Erinnerung zufolge als eine erste, verschollene Fassung des Librettos identifiziert (Bachmann und Henze, Briefe einer Freundschaft, S. 226 und S. 502). Henze erwähnt zudem in seiner Autobiographie, dass er sehr bald nach dem Treffen eine Synopse erhalten habe, die aber verloren ging (Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 204). Was die Schnelligkeit der Antworten und die Bereitschaft zum Zuhören von Auden und Kallman angeht, schreibt Henze erneut an die Freundin Bachmann am 20. Dezember 1959:

Die Anglo-Amerikaner sind doch fleissige Leute: Auden-Kallman haben schon zwei Akte der ‚elegy‘ abgeliefert, den ersten auch schon nach meinen Wünschen geändert, ganz planmässig. z. B. ich schreibe an den Rand ‚statt dieser Cabaletta möcht ich lieber eine Ninna-Nanna von ca. 2 min.‘ schon kommt postwendend eine Lullaby Deines Oxforder Kollegen [Auden] die so geht:
My own, my own, the little planet flies, The snow-flake falls through ever colder years: My own, upon a human cheek it dies Not in its own but in another’s tear. schau, was für ein schönes Ding! und wie gut trifft es die Situation des unterzeichneten Autors dieses Briefs!
Bachmann und Henze, Briefe einer Freundschaft, S. 231

Die Korrespondenz zeigt, dass auch die Librettisten einen Einfluss auf den musikalischen Charakter bestimmter Passagen hatten, so etwa im Falle des Duetts zwischen der Sekretärin, Gräfin Carolina von Kirchstettin, und dem Arzt Dr. Reischmann, für das die beiden Librettisten ein Duett im Stil von Rossini vorschlagen (vgl. diesen Brief). Henze verwandelt den Text tatsächlich in ein Duett, das durch die dreifache Wiederholung zunächst von Reischmanns Vers, dann von Carolinas Vers und der Bündelung beider am Ende explizit von den formalen Konventionen des italienischen Melodrams des frühen 19. Jahrhunderts inspiriert ist, es gipfelt, unterstützt vom gesamten Ensemble aus Bläsern und Schlaginstrumenten, schließlich mit einem drängenden dynamischen und agogischen Crescendo in einem Man mano accelerando e crescendo. In demselben Brief machten die Librettisten bezüglich des Epilogs des 3. Aktes einen Vorschlag, der vom Komponisten nicht aufgegriffen wurde.

Henze seinerseits verlangte oft Textkürzungen und Änderungen, denen die Librettisten nicht nachkamen: z. B. beim Edelweiß, der Blume, die von den beiden jungen Liebenden gepflückt werden sollte, die Henze lieber durch eine andere seltenere Alpenpflanze, Blume oder Wurzel ersetzt wissen wollte (vgl. diesen Brief). Schließlich schlägt Henze, entsetzt über die grausame Persönlichkeit des Protagonisten Gregor Mittenhofer, vor, die schreckliche Wirkung des tragischen Endes abzumildern (vgl. demselben Brief).

In der Korrespondenz wird auch thematisiert, wer mit der Übersetzung des Librettos von Elegy for Young Lovers aus dem englischen Original ins Deutsche für die Uraufführung am 20. Mai 1961 im Schlosstheater in Schwetzingen betraut werden sollte (vgl. diesen Brief). Die drei denken an Bachmann, von der Idee ist Auden jedoch nicht überzeugt. Er schlägt seinen Schwager Michael Mann vor. Die deutsche Fassung wird dann von Ludwig Landgraf unter Mitarbeit von Werner Schachteli und dem Komponisten fertiggestellt.

Ein weiteres Thema des Briefwechsels ist die Aufführung von Elegy for Young Loversin Glyndebourne am 13. Juli 1961. Der Regisseur Günther Rennert äußerte gegenüber Henze einige Wünsche bezüglich der Inszenierung und der Position der langen Pause, die die beiden Librettisten nicht akzeptieren wollten (vgl. diesen Brief). Der letzte Brief zu dieser Oper stammt vom 25. September 1961, in dem Henze durch die Sekretärin Renate Praetorius Kallman zur Vorbereitung der Inszenierung „sofort und ganz eilig“ um die Übersendung des Tonbandes der englischen Aufführung an das Königliche Theater in Kopenhagen bittet (vgl. diesen Brief).

Die Bassariden

Die seit einigen Jahren unterbrochene schriftliche Korrespondenz wurde am 27. Juli 1964 mit einem Brief von Kallman wieder aufgenommen. Erfreut über die Nachricht schreibt Henze am 6. August aus Castel Gandolfo zwei wichtige Briefe über Die Bassariden, die Oper wurde genau zwei Jahre später aufgeführt. Im ersten, der nur an Kallman gerichtet ist, teilt er mit, dass er die Komposition von Der junge Lord (1964) fast abgeschlossen und die Planung für Die Bassariden bereits skizziert habe. Daraufhin schrieb er im zweiten Brief – vier Seiten, die an seine „Divinities Wystan und Chester“ gerichtet sind –, dass er mit der Komposition von der Oper, die er mit „Becky“ als eine Art Abkürzung betitelt, jetzt mit Begeisterung beginnen möchte, nachdem ihn das Manuskript des Librettos, das die Librettisten ihm im Sommer 1963 schickten oder persönlich übergaben, sehr beeindruckt hatte. Er fürchtete, einer solchen „Menschendämmerung“ kaum gewachsen zu sein, wobei er eindeutig auf Richard Wagners Götterdämmerung anspielt, die er im Jahr zuvor – auf Anraten der Librettisten – in Wien gesehen hatte. Henze thematisiert noch in seiner Autobiographie, dass sowohl Auden als auch Kallman ihm nahelegten, seine ästhetische Abneigung gegen Wagner zu überwinden (vgl. Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 254). Die Schlussszene von die Bassariden, in der die Stadt Theben in Flammen aufgeht, gilt als Anspielung auf das Ende der Götterdämmerung.

Henze äußert in demselben Brief Bedenken hinsichtlich der Länge des Textes. Er war sich darüber bewusst, wie schwierig es für Librettisten sein kann, Verse und ganze Textabschnitte zu kürzen. Daher bemüht er sich, durch genaueste mathematische Berechnungen den Librettisten verständlich zu machen, wie unerträglich lang ihr Text mit Musik werden könnte. In einem Brief aus Kirchstetten, der auf den 16. August datiert ist und direkt auf dieses Thema Bezug nimmt, bittet Auden Henze um die Möglichkeit, das ursprüngliche Libretto mit den nicht vertonten Teilen zu veröffentlichen und diese grafisch hervorzuheben. Audens Bitte wurde erfüllt: Schon im ersten Druck von 1966 wurden die letztendlich von Henze nicht vertonten Verse in Klammern zusätzlich zu den vertonten abgedruckt. Die von den Librettisten bereits vorgesehene musikalische Formstruktur, so etwa die Arien, Dialoge und Chöre, war im Druck durch den Schriftsatz auch in diesen Teilen erkennbar.

Ein weiteres oft diskutiertes Thema in dieser Korrespondenz betrifft den Titel der Oper: „Bassariden“ ist der Titel einer verlorenen Tragödie von Aischylos über einen weiteren Sieg des Dionysos, ist aber auch ein Begriff, der allgemein die männlichen und weiblichen Teilnehmer an der Prozession des Gottes bezeichnete. Auf Anraten von Erich Robertson Dodds, einem Philologen und Freund der Librettisten wählten die drei Autoren „Bassarids“ bzw. „Bassariden“ als Titel, vielleicht um sich von der Tragödie des Euripides zu distanzieren und von Anfang an deutlich zu machen, dass es sich um eine Neuinterpretation von Euripides Bakchen handelte, so Franco Serpa (Interview mit Serpa, zit. in Minetti, Euripide rivisitato, S. 32). Henze war von der Wahl nicht sofort überzeugt: Er hatte noch niemanden in seinem Bekanntenkreis finden können, der diesen Namen jemals gehört hatte. Später änderte er jedoch seine Meinung: und schrieb an Bachmann: „Ach so, ja: ‚Bassariden‘ gibt es auf Deutsch, es steht im Konversations-Lexikon (Knaur), nur dass Du es weisst. Und Maenaden sind halt nur die Weibsbilder. Ich weiss jetzt alles über diese Dinge, weil ich viele Bücher habe, vor allem den unentbehrlichen Dodds“. (Bachmann und Henze, Briefe einer Freundschaft, S. 254). Schließlich notierte Auden in seinem Brief vom 23. November 1964 den endgültigen Titel und die Namen der Figuren des Stücks und schlug auch ihre genaue Betonung vor.

Gut zehn Monate vor der Salzburger Uraufführung am 6. Oktober 1965 verkündete Henze, dass er die Komposition von Die Bassariden vollendet habe: Er sei nicht in der Lage, sie zu beurteilen, aber er sei glücklich, ein anspruchsvolles Werk vollendet zu haben, für das er nur Gott danken könne (vgl. diesen Brief). In diesem Brief beklagte Henze sich über das Eröffnungsmotto der Oper „Die Mythe log...“, das einem Gedicht des deutschen Dichters Gottfried Benn (1886-1956) entnommen ist. Es ist die letzte Zeile einer Strophe aus dem Gedicht Verlorenes Ich: „Die Welt zerdacht. Und Raum und Zeiten | und was die Menschheit wob und wog, | Funktion nur von Unendlichkeiten –,| die Mythe log“ (vgl. Benn, Statische Gedichte, S. 47). Henze erklärt, dass es für einen Antifaschisten wie ihn nicht angenehm sei, seinen eigenen Namen in irgendeiner Weise mit dem von Benn zu verbinden, der, obwohl ein großer Dichter, Hitlers Aufstieg unterstützte und Präsident der Preußischen Akademie der Künste wurde. Er bat die Librettisten vergeblich darum, den drei Worten „die Mythe log“ ein weiteres Zitat hinzufügen zu dürfen, letztlich blieben aber nur drei Auslassungspunkte hinter dem Zitat bestehen.

Als das Libretto und die Musik fertig waren, begannen die drei Autoren über die deutsche Übersetzung des Librettos zu diskutieren, mit der Helmut Reinold anfangs beauftragt wurde (vgl. diese Briefe). Aus den Briefen geht eine gewisse Unzufriedenheit mit Reinolds Arbeit hervor, und in der Partitur steht, dass Reinold den Text ‚eingerichtet‘ hat, die ‚deutsche Textfassung‘ aber von Maria Bosse-Sporleder stammt.

The Solitudes

Im Sommer 1964 schlug Kallman Henze vor, eine Kantate für die schwedischen Sängerinnen Elisabeth Söderström (Sopran) und Kerstin Meyer (Mezzosopran) zu komponieren, mit dem Titel The Solitudes: einen kurzen Zyklus mit vier Gedichten, für Sopran, Mezzosopran mit einem oder zwei Klavieren als Begleitung oder Streichquartett, „als eine Art Entspannung vor ‚Becky‘“ (vgl. diesen Brief). Obwohl Kallman den Text vollständig geschrieben hatte, gelang es Henze aus Zeitmangel nie, ihn zu vertonen, wie er in seiner Autobiographie schreibt (vgl. Henze, Reiselieder mit böhmischen Quinten, S. 213). Von diesem unvollendeten Projekt gibt ein Brief einige Vierzeiler von Kallman wieder.

Moralities

Zwischen 1966 und 1967 arbeiten Henze, Auden und anfangs Kallman auch an der Schuloper Moralities nach Fabeln des Äsop. Aus der Korrespondenz geht hervor, dass ursprünglich Kallman an dem Projekt teilnehmen sollte. Der Autor des Librettos wurde jedoch nur Auden. Auf das Thema der Oper legten Auden, Kallman und Henze sich erst im Herbst 1966 fest (vielleicht, weil sie noch mit Die Bassariden beschäftigt waren, die Oper wurde am 6. August 1966 uraufgeführt). Die Schuloper wird in der Korrespondenz in einem Brief von Auden vom 14. Juli 1966 erstmalig erwähnt, in dem er dem Komponisten schreibt, dass er die Vorstellung, für einen Schulkinderchor zu schreiben, wegen der möglicherweise mangelnden Fähigkeiten der Kinder etwa im Hinblick auf Tanz etwas besorgniserregend fände.

Wahrscheinlich spielte Auden mit dieser Äußerung bereits auf die Schuloper im Rahmen des Cincinnati May Festival an, aus dem später Moralities werden sollte. Noch im Sommer, am 27. August 1966, machte Henze in einem Brief den beiden Librettisten klar, dass er mit ihnen über die Schuloper sprechen müsse, auch weil er den Oktober 1966 für die Komposition dieses Werks reserviert habe, das maximal 30 Minuten dauern sollte. Erst am 8. September 1966 erhielt Henze einen Brief von den beiden Librettisten, in dem sie schrieben, dass sie die Idee für eine Schuloper für das Chorfestival in Cincinnati gefunden hätten, nämlich „eine Suite aus dramatisierten Fabeln von Aesop“. Der Brief vom 11. November 1967 mit Audens Korrekturen an dem bei Schott gedruckten Text von Moralities (von dem Henze am 3. Juli 1967 schrieb, dass er ihn für ein wunderschönes Werk halte) ist das letzte erhaltene postalische Dokument des Briefwechsels zwischen Henze und den beiden Librettisten, Auden starb am 29. September 1973, Kallman am 18. Januar 1975

Weitere Themen aus der Korrespondenz

„Die Welt der Kunst“

In ihrer Korrespondenz berichten Auden, Kallman und Henze hauptsächlich von ihren eigenen künstlerischen Projekten, aber auch von ihren Erfahrungen als häufige Besucher von Opernaufführungen, Konzerten und Uraufführungen. Die Schilderung ihrer Besuche, vor allem im mitteleuropäischen Raum, der „Welt der Kunst“, um einen Ausdruck von Henze zu verwenden (vgl. diesen Brief), formuliert interessante Kritiken als Rückblicke auf das Musikleben der Zeit (vgl. beispielweise zu Igor Stravinsky in diesem Brief; zu Gustav Mahler und Richard Strauss in diesem Brief; zu Arnold Schönberg in diesem Brief, zu Bedřich Smetana, Leoš Janáček und Franz Joseph Haydn in diesem Brief).

Reisen

Die Korrespondenz dokumentiert die vielen Reisen der drei Briefpartner, zwischen Europa und New York – wo die beiden Librettisten ihren Hauptwohnsitz hatten (per Flugzeug oder per Schiff z. B. auf der Hanseatic Transatlantic) sowie innerhalb Europas. Städte wie z. B. Berlin und Salzburg, wo die drei Aufführungen ihrer Werke besuchten, oder Oxford, wo Auden unterrichtete (vgl. diese Briefe), oder Athen (vgl. diesen Brief), wo Kallman eine Liebesbeziehung zu einigen Evzonen (d. h. Soldaten der ehemaligen königlich-griechischen Leibgarde) hatte, oder Kirchstetten, wo Auden und Kallman ihr Sommerhaus hatten und Henze sie oft besuchte, werden in der Korrespondenz erwähnt. Aus der Betrachtung der Postanschriften der Postdokumente geht außerdem beispielweise hervor, dass Auden zwar im Winter 1964/1965 als artist in residence der Ford Foundation in Berlin lebte (vgl. diesen Brief), im Dezember jedoch in New York war.

Homosexualität und Privatleben

In diesem Briefwechsel wird von Henze, Auden und Kallman ihre Homosexualität auf unterschiedliche Art und Weise angesprochen. Kallman ist der Einzige, der seine Homosexualität immer wieder offen thematisiert, so etwa in Witzen oder Berichten von Flirts und Dates. Auden hingegen bleibt zu dem Thema stets sehr zurückhaltend, selten fallen Bemerkungen über Homosexualität, z. B. schreibt er in einem Brief an Henze: „A ‚queer‘ reputation provides some people with a motive for malice and ill-will, but is something we all have to put up with“. Henze berichtet kaum von Affären (mit einer Ausnahme in diesem Brief an Kallman). Aus einem Brief von Kallman ist zu entnehmen, dass Folker Bohnet Mitte der 1960er Jahre Henzes Geliebter war: „It is a shame Folker will be away so long. I do understand how you must feel. Two hours away drives me snazzly[sic]; but then, I’m just a bride“. Darüber hinaus wird von Auden und Kallman in einer abschließenden Grußformel Giulio Di Majo erwähnt, mit dem Henze eine Beziehung Anfang der 60er hatte. Erstaunlicherweise wird in den erhaltenen Dokumenten der Korrespondenz Fausto Ubaldo Moroni, der ab Mitte der 1960er Jahre Henzes Lebensgefährte wurde, nicht erwähnt. Aus den Briefen geht hervor, dass es in Kallmans Leben Liebesaffären gab, die die Beziehung zu Auden überlagerten, insbesondere eine mit einem jungen Griechen namens Kosta – ein Freund von Yannis, mit dem Kallman ebenfalls eine Liebesbeziehung hatte. Die drei sprechen sich manchmal in der weiblichen Form an: Beispielweise grüßt Kallman Henze am Ende eines Briefes mit „sisterly love and kisses“, oder er unterzeichnet einen Brief als „Penelope“. Auden wird von Henze manchmal als „Miss Master“ (vgl. diesen Brief) bezeichnet oder er bezeichnet sich selbst als „mother“ (vgl. diesen Brief) oder als „olle Tante“ (vgl. diesen Brief).

Danksagung

Die Edition konnte auf vorbereitende Arbeiten (Transkription sämtlicher Dokumente) von Dr. Philipp Heitmann zurückgreifen, dem wir für die geleistete Arbeit herzlich danken. Ebenso danken wir Prof. Dr. Joachim Veit, der uns bei der Autopsie der Quellen in der Paul Sacher Stiftung tatkräftig unterstützt hat. Ein besonderer Dank gilt zudem dem Kurator der Hans-Werner-Henze-Sammlung in der Paul Sacher Stiftung, Dr. Simon Obert, der uns half Unklarheiten auszuräumen und sich stets hilfsbereit zeigte.

Für die sprachliche Prüfung der englischen Kommentare und für die Beratung bei sprachlichen Fragen bedanken wir uns herzlich bei Dr. Yolanda Acker.

Ein großes Dankeschön gilt dem Projektteam der Auden Musulin Papers , das dabei geholfen hat, offene Fragen in Audens Biografie zu ergründen.

Dr. Irmlind Capelle sei für die Mithilfe bei der Vertiefung des Kritischen Kommentars und bei der bibliographischen Recherche ebenfalls ganz herzlich gedankt. Darüber hinaus bedanken wir uns bei unserer studentischen Hilfskraft, Sophie Stremel für ihre umsichtige Unterstützung.

Schließlich gilt unser Dank auch der Hans-Werner-Henze-Stiftung, namentlich Dr. Michael Kerstan und Audens und Kallmans Nachlassverwalter, Edward Mendelson, für die Erlaubnis zur Publikation der Dokumente.

Elena Minetti
Detmold, im Februar 2024

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