Letter from H. M. Enzensberger to H. W. Henze, January 21, 1973

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21 gennaio 73

lieber[sic] Bruder in Apoll,* das war ein angenehmer Tag in Venedig *, woraus ich
schließe daß Italien immer noch bewohnbar ist – ich hatte schon die ersten
Zweifel daran gefaßt, sie sind vorläufig behoben. Und hier ist die eilige
Antwort auf deine eiligen Fragen.*

Zuerst ganz am Anfang die Vorbemerkung (unter der Überschrift Bühne) sollte
weniger eindeutig gefaßt werden; vielleicht streichen wir einfach die folgenden
Sätze: "Das Zimmer erscheint jeweils auf der Vorderbühne... bis: bringen sie
wieder fort"
und schreiben stattdessen: Dieses Zimmer ist auf der Vorderbühne unterzubringen;
der Regie überlassen bleibt, auf welcher Seite;
auch eine bewegliche Einrichtig ist denkbar.

Mit dem Kritiker-Liedchen /: [sic]einverstanden. Statt der zweiten Klo-Szene*
müssen wir Madame eine kleine Brücke geben. Während des Umbaus könnte
die Rachel sagen:

"Es war die einzige reine Leidenschaft meines Lebens. Er wich nicht von
meiner Seite, und bald trug ich unter meinem Herzen Eusebios Sohn. Doch
die Eltern meines Geliebten machten uns das Leben zur Hölle. Die Mutter
eine Furie, der Vater ein Tyrann. Diese Zeit war für mich eine Perlenkette
aus Tränen. Und Abend für Abend mußte ich auftreten. Ja, das Tivoli, für
die andern ein Ort der Freude – mit mir kannte es kein Erbarmen!"


Natürlich gäbe es die Möglichkeit, stattdessen die Klo-Szene zu lassen
(das hätte den Vorteil, daß die Dekoration unverändert stehen bleiben könnte),
nur müßte es dann statt "Rezensent" heißen "Erster Herr" – das wäre eigentlich
die sauberere Lösung, weil auf diese Weise das Thema des Kindes im Tonxxx
echten Tivoli-Tonfall introduziert würde.

Die Regieanweisung für Eusebios (Bade-)Zimmer: "Auch die rechte (schmalere) Seite der
Bühne ist jetzt erleuchtet. Das Badezimmer in Eusebios Elternhaus, geräumig
und luxuriös; die Wanne mit verzierten Füßen und vergoldeten Armaturen; weiß-
gestrichene Korbmöbel, große Glasfenster, Palmen in Kübeln, im Hintergrund
ein riesiger Jugendstil-Spiegel. Eusebio im Bademantel schreibt auf einem
Toilettentisch seinen Abschiedsbrief."

Der Rezensent gibt den Blumenstrauß dem Dienstmädchen, weil das seine Vor-
stellung von guten Manieren ist: Ofelia soll ihn auswickeln und eine Vase suchen.*


Die Frage, ob Rachels Zimmer immer hin- und hergexchoben werden soll, ist
nicht nur technischer Art. T. hat ganz recht, wenn er sagt, daß dies
im Grunde gegen den Sinn des Stückes ist. Denn die Anwesenheit der Alten,
auch im Dunkeln, zeigt ständig an, daß wir nicht sehen was damals passiert
ist, sondern was sie jetzt, als Alte, zusammenphantasiert. Die Lösung mit
dem "Wagen" habe ich nur gesucht, weil ich mir dachte, die Bühne wäre
räumlich überfordert, wenn das Zimmer stehen bliebe; auch müßte man darauf
bestehen, daß dieses Zimmer nicht nur ein gemaltes Nichts sein darf,
eine "Andeutung", sondern prktxxxx praktikabel und solid materiell – dies im
Gegensatz zu den luftigen Gebilden auf der Hauptbühne, die aus dem Stoff
der Träume sind – der Kontrast ist wesentlich.

Wir werden also nicht darum herumkommen, der Regie hier freie Hand zu lassen.
Die ganze Konzeption hängt tatsächlich von der Relation ab, die zwischen
Rachel I und Rachel II hergestellt wird, und ich könnte mir da verschiedene
Arten der Realisierung vorstellen. Z.B. sogar die, daß die alte Rachel
samt ihrem Zimmer vom Schnürboden heruntergelassen wird, oder irgendwelche
andern Tollheiten. Bingo!

Ich bin serhxxxx sehr gespannt auf das New Yorker Tonband, weil ich die Musik
doch nur in deiner eigenen Klavier-Inszenierung kenne, also ohne die
Farben der Instrumentierung.

Mit dem Titel bin ich auch noch nicht ganz fertig.

  • La Cubana oder Die ewig Kunst
  • La Cubana oder Die immergrüne Kunst
  • La Cubanda oder Die wahre Kunst (= Ware Kunst)
  • La Cubana oder d[sic]ie Tränen einer Künstlerin
  • La Cubana oder Blumen für eine Künstlerin
Alles beinahe richtig, aber vermutlich nichtgx ganz. Man müßte auch überlegen,
wie sich das auf englisch, französisch, italienisch usw. macht. La Cubana, or
An Artist’s Tears.
La Cubana, ou les larmes d’une artiste. La Cubana ovvero
le lagrime d’un artista.
Vielleicht?

Das mußt du an schönen Abenden in deinem Bette überlegen, wenn dich eben
nichts von Rachel ablenkt.

tout à fait à toi
m

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle; Joachim Veit

Tradition

  • Text Source: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Hans Werner Henze, Abteilung: Korrespondenz
    Shelf mark: Enzensberger, Hans Magnus

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • dickeres helles Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Extent

    • 1 folio
    • 2 written pages
    • Dimensions: 297x210 [mm] (HxW)
    • Layout

    • anderthalbzeilig, kein Einzug, keine Leerzeilen

Writing styles

Text Constitution

  • Following: handwritten, ballpoint pen (black), Enzensberger, Hans Magnus
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  • "( kleinere) schmalere) "added above, handwritten, pencil, Henze, Hans Werner
  • "schmalere)""kleinere)" crossed out and replaced with "schmalere)"
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  • Following: handwritten, ballpoint pen (black), Enzensberger, Hans Magnus

Commentary

  • "… B ruder in Apoll ,"Enzensberger spielt hier auf sein Gedicht "Ein letzter Beitrag zu der Frage ob Literatur?" an; vgl. auch den Brief vom 4. September 1972.
  • "… ein angenehmer Tag in Venedig"Von diesem Treffen von Enzensberger und Henze im Januar 1973 in Venedig ist nichts bekannt.
  • "… Antwort auf deine eiligen Fragen."Vgl. Henzes Brief vom 17. Januar 1973.
  • "Einrichtig"recte "Einrichtung".
  • "… einverstanden. Statt der zweiten Klo-Szene"Enzensberger spricht hier von der Szene zwischen dem Duett von der immergrünen Zukunft und Eusebios Liebestod im 1. Tableau.
  • "… auswickeln und eine Vase suchen."Betrifft das Intermezzo zu Beginn vom 2. Tableau.
  • "hergexchoben"recte "hergeschoben".
  • tout à fait à toi
    • ganz für dich

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        Mit freundlicher Genehmigung der Erbengemeinschaft Hans Magnus Enzensberger.

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        Alle Rechte an den Briefen Enzensbergers verbleiben bei der Erbengemeinschaft Enzensberger.

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