Letter (with Envelope and Enclosure) from H. W. Henze to P. Sacher, August 30, 1972

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La Leprara
00047 Marino (Roma)
30
8
71[recte: 1972]
*
lieber Paul,

bitte Dich sehr um entschuldigung für meine
bummelei. ich war dabei, eine arbeit
abzuschließen* und liess alle post ungelesen.
aber hier ist der gewünschte programmheft-
text
. das gedicht braucht meiner meinung
nach nicht abgedruckt werden, weil es deutlich
vom tonband, bzw. von Brenton bzw. vom
sänger
im saal zu hören ist.

bitte achte auf den richtigen titel des stücks:
(bisher hat ein schott-mensch das dauernd falsch
gemacht.)

aber wenn Du findest, es sei besser, den text des
gedichts doch zu drucken (vielleicht wäre es gut
zum späteren nachlesen!) er steht in dem neuen
Enzensberger-Gedichtband, der bei Suhrkamp er-
schienen ist.

Schott hat neue photos von mir!

ich werde jetzt ferien machen.*

Love
hans

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[Envelope, Manuscript]

mit Luftpost
par avion
by air mail

espresso

Svizzera

Paul Sacher
CH – 4133
Pratteln Bl.


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zweites violinkonzert (1971)
für Sologeiger, Tonband, Stimmen und 33 Instrumentalisten

1971, zweiundzwanzig Jahre nach meinem ersten, habe ich ein zweites
Violinkonzert
gemacht. Es hat zwar mehrere (ineinander übergehende) Teile
und ein konzertierendes Solo, sodass sich der Titel rechtfertigen lässt,
und man wird später einsehen, dass er keine Verlegenheitslösung ist: aber
das ganze ich doch etwas anderes als ein herkömmliches concerto.

Es ist ein Theaterstück, beinahe, aber nicht ganz. Das Gedicht von
Enzensberger wird dargestellt, auch hörbar gemacht. Das Gedicht hat die
Form der Musik bestimmt. Auch ist etwas von den Versuchen um
action music meiner Art zu finden, Varianten meines Cimarrón und
des langwierigen Weg in die Wohnung der Natascha Ungeheuer: der
Virtuose tritt auf, wie die Romantik ihn gesehen hat, als Zauberkünstler
und tragikumwitterter Hexenmeister, hier allerdings in der Version eines
in Dialektik verstrickten Baron Münchhausen, der bis zum Ende der
Komposition vergeblich versucht, sich am eigenen Schopf aus dem Sumpf zu
ziehen, beziehungsweise: mit nicht endenwollendem Optimismus weiterzu-
fiedeln.

Von Zeit zu Zeit sind Kontrapunkte zu seinem Spiel von anderen Geigen zu
hören, deren Passagen durch Synthesizer verfremdet werden. Fragmente von
elisabethanischen und romantischen Musiken tauchen auf und versinken, sie
können als Hör-Wegweiser genommmen werden, könnten aber auch Hör-Fallen
sein und zu Denk-Trugschlüssen führen. Die Polyvalenz von geschlossenen
Formen, Aleatorik, Überschneidungen von Gesangsszene, Konzertmusik und Theater,
ist so gedacht, dass sie auf den ersten Blick, beim ersten Hören, Vergnügen
machen soll, und so spielerisch kommen wie es das Gedicht Enzensbergers zu
tun scheint. Der Hörer sollte aber da nicht stehen bleiben.

Der Gegenstand, des Gedichts, das Theorem des Mathematikers


2
Gödel*, wird im Idealfall vom Solisten rezitiert. Es lautet
(in Enzensbergers Fassung)

"In jedem genügend reichhaltigen Systemlassen sich Sätze formulieren,die innerhalb des Systemsweder beweis- noch widerlegbar sind,es sei denn das Systemwäre selber inkonsistent."

* * *

*)    Kurt Gödel, geboren 1906 in Brünn und seit 1953 in
Princeton tätig, hat sein System Theorem in folgendem
Aufsatz publiziert: Über formal unentscheidbare Sätze der
Principia Mathematica und verwandter Systeme. (Monats-
hefte für Mathematik und Physik, Band 38 (1931) S.
173–198.
)

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Elena Minetti; Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Paul Sacher
    Shelf mark: Korrespondenz Hans Werner Henze

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • Briefpapier Henze, blaues Papier
    • Faltung: 1mal quer
    • Extent

    • 1 folio
    • 1 written page
    • Dimensions: 212x150 [mm] (HxW)
    • Layout

    • Rand links: 2,3 cm, kein Einzug; Anführungszeichen unten-oben

Writing styles

Text Constitution

  • "… -mensch das dauernd falsch gemacht.)"Dieser Absatz ist links auf dem Rand mit einer eckigen Klammer umschlossen und davor stehen noch 5 große Ausrufezeichen.

Commentary

  • "… 30 8 71 recte: 1972"Henze schreibt eindeutig “71”, doch auf Grund des Inhalts des Briefes, der Einordnung in die Akten Sachers und des Poststempels des dazugehörigen Briefumschlags ist dieser Brief eindeutig 1972 geschrieben. Es ist zu beachten, dass der Briefumschlag erst einen Stempel vom 4. September 1972 20 Uhr trägt.
  • "… war dabei, eine arbeit abzuschließen"Henze schloss im Sommer die Komposition von La Cubana ab; vgl. die Korrespondenz mit Hans Magnus Enzensberger .
  • "… ich werde jetzt ferien machen."Nach Henzes Brief an Enzensberger vom 26. September 1972 verbrachte er seinen Urlaub (zehn Tage) auf Vulcano.

        XML

        Credits

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

        If you've spotted some error or inaccuracy please do not hesitate to inform us via henze-digital [@] zenmem.de.