Letter from H. W. Henze to W. Jockisch, November 27, 1951

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dienstag,
d. 27. 11. 51
lieber butzi,

schitts sagen, sie könnten unmöglich aus dem vertrag
wieder raus, das sei nun mal so. ich kann dazu
nur sagen, dass ich auf biegen oder brechen
eine gute manon haben muss (könntest Du Dir
lore hoffmann vorstellen?) und einen guten armand.*

sonst fand ich unsere gespräche doch sehr
klärend, und ich fühle selbst, dass ich einiges aus-
gesprochen habe, was bisher noch unterbewusst oder
unaussprechlich war. die ganz neue merkwürdige
beziehung zum 19. jhrdt., die unseren neuesten ambitionen
anhaftet, muss klar herausgearbeitet werden und stilisiert,
peter und ich versuchen sowas mit unserem dornröschen
jetzt – und das ganze muss unerhört raffiniert sein.*

unsere rückreise war qualvoll langsam, ich war
ausgeleert und wusste nichts mehr zu sagen, trotzdem
sprachen wir meistens vom décor. krüger muss ein
reines klassisch[sic] machen, wenn er es nicht kann,
soll er’s zugeben, dann macht’s halt ein gast,
z. b. peter van dijk. kannst Du das nicht mal
inaugurieren? es soll ja nicht gegen krüger sich
richten, aber ich muss darauf bestehen, dass meine
oper • trotz • trotz • trotz • provinzial hauptstadt eine grosse
broadway - champs elysées kudamm timesquare wolke wird.
daher verlange ich zwei stars für die hauptrollen
und wirkliche kunstvolle petipa-choreographie. wenn er
gut arbeitet, kann er 5 seiner damen und 3 jungens
zu einem kleinen raffinierten apparat ausbauen bis
dahin. am liebsten legte ich die ganze choreographie mit
ihm fest. wenn wir nach paris wirklich fahren sollten,
könnten wir p. van dijk mitnehmen? er hat es wirklich
nötig, mal paris zu sehen.


II/

sonntag hatten wir hohen besuch. lifar guckte sich
unser exercise an und “apoll” *. er war ganz
reizend, wollte gar nicht mehr weg. lobte sehr
maria und denise und war sehr herzlich von peter
angetan. er sagte immerfort “bravo” und schrieb
uns in die apoll partitur

bravo pour vos “Apolls”
bravo pour la musique
bravo pour la choréographie
bravo pour vos etoiles

so ein gutes exercise wie an dem morgen war
auch noch nie da. ich hatte ihn aus seinem
hotel in gonsenheim abgeholt und sass dann noch
mit ihm in mainz. er sagte, wenn wir nach paris
kommen, er ist immer für uns zu sprechen. nach-
mittags lud er alle solisten ein zu seiner show.
es gab u. a. “icare” , doch noch immer doll, und
“kristallpalast” von balanchine, dieses herrliche meister-
werk. hinterher stellte er uns seinen etoiles[sic] * vor
(leistner brach in tränen aus, als renauld ihn
anguckte) und schenkte peter einen ballettschuh
wo drin stand: für p. van dijk zur erinnerung an
“icare” am 23. nov. 51 mit vielen guten wünschen
etc. etc., es war alles sehr rührend und
wirklich furchtbar nett. zu lifar fühle ich mich
sehr hingezogen, während die anderen alle wieder
dieses schlüpfrige, krähenhafte haben.

brian cobby seligen angedenkens aus st. angelo hat
geschrieben.

jean-pierre ist nach paris, um sich einzuschreiben,
kommt aber in 8 tagen wieder.

otti hat mir eine gute und logische formale kon-
struktion für narziss * gemacht, woran ich nun
arbeiten kann. ich kriege auch einen stil hinein:


III/

die musiknummern, reine tänze, in reiner dodekaphonie,
werden sehr zart und ein bisschen wie “giselle”
von adam, was mir so als rosa schleier von weitem
zuwinkt durch das grau unseres zeitalters. die panto-
mimen nur für percussion dazwischen. ich glaube,
eine gute lösung. hoffe, das ballett an mannheim
14 tage nach münchen, zu verkaufen.*

lieber butzi, meine geldnöte sind gross, was macht
der vorschuss für jean-pierre? es müssten
500,- mark sein, er schuldet mir einiges, aber
diese summe ist auch die einzige chance im
moment, aus der sache herauszukommen. bitte lege
Dich doch noch einmal ins zeug. ich sehe nicht
ein, warum man keinen vorschuss kriegen soll,
wenn eine arbeit geleistet worden ist. “alors.”

ist butza schon da?*

donnerstag, d. 29., also übermorgen um 22 h, ist der “landarzt” im NWDR, bitte hörs Dir
an,* auch krüger, hapke und freund schüler
sollen am lautsprecher hocken, so wünscht es

Dein Dich herzlich grüßendes
häschen

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Shelf mark: GW 31

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • beiges, rauhes Papier
    • Faltung: 2x auf DinA6
    • Extent

    • 3 folios
    • 3 written pages
    • Dimensions: 295x209 [mm] (HxW)
    • Layout

    • Seitenzahlen links oben mittig auf dem am Rand
    • Rand: 4-4,5 cm, kein Einzug, Anführungszeichen unten oben

Writing styles

Text Constitution

  • "reines klassisch"sic
  • "… II/"Die Seitenzahl ist nach links auf den Rand heraus gerückt.
  • "etoiles"sic
  • "… III/"Die Seitenzahl ist auf den linken Rand heraus gerückt.

Commentary

  • "… und einen guten armand ."Wie in dem vorangehenden Brief erwähnt, begannen die Proben zu “Boulevard Solitude” Anfang November 1951. Offensichtlich war Walter Jockisch mit der Besetzung unzufrieden. In der Uraufführung wurde die Manon von Siegrid Claus und der Armand von Walter Buckow gesungen, beide Ensemblemitglieder des Theaters in Hannover.
  • "… ganze muss unerhört raffiniert sein."Eine Besprechung dieser Aufführung ließ sich bislang nicht nachweisen; vgl. aber das Bild von Maria Fris in diesem Stück in Melos März 1952, S. 88. Vielleicht fand dieser Abend nicht statt; vgl. Autobiographie S. 128f.
  • exercise
    • Übungen, Proben
  • "… unser exercise an und apoll"Vgl. hierzu die sehr knappe Erwähnung in der Autobiographie S. 127.
  • exercise
    • Übungen, Proben
  • "… stellte er uns seinen etoiles"Danseur etoile: höchster Rang für einen Tänzer am Pariser Opernballett.
  • "… formale kon struktion für narziss"Hierbei muss es sich um das Ballett Pas d’action handeln, zu dem Otto Herbst das Libretto schrieb; vgl. Autobiographie S. 145.
  • "… nach münchen , zu verkaufen."Die Uraufführung von “Pas d’action” fand in München am 22. Juli 1952 statt (Zur Aufnahme dort vgl. die Briefe aus der Zeit). Der Verkauf an Mannheim scheint sich zerschlagen zu haben: In dem Ballettabend in Mannheim zu Beginn der Saison 1952/1953 erklang neben Petruschka von Strawinsky und Der verlorene Sohn von Prokofieff als Neuheit Wolfgang Fortners Ballett Die weiße Rose.
  • "… ist butza schon da?"Wie aus dem vorangehenden Brief hervorgeht, war Grete Weil im November 1951 in Holland.
  • "… , bitte hörs Dir an," “Der Landarzt” war ein Auftragswerk des NWDR. Die Sendung lief in der Reihe “Das Neue Werk”; vgl. Melos 1952, S. 22f.

      Automatical Commentary

      • "brian cobby"Assignment not clear.

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      Credits

      Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

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