Letter from H. W. Henze to G. Weil, November 1, 1951 at the earliest

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[Manuscript]

[Anfang November 1951] *
Butza, carissima,

regnet es bei Euch in holland
auch so furchtbar? ich hoffe
es geht Dir gut und Du siehst
das leben von einer schönen
seite. ich sah butzi vor 8 tagen,
als ich auf der reise nach
hamburg war.* wir dinierten zu zweit.
meine funkoper musste verschoben
werden, aus technischen gründen.*
ich hörte ein paar proben, konnte
aber sonst nicht viel ausrichten und
bin ziemlich deprimiert, nicht zuletzt
über den snobismus der dortigen
musikabteilung
. nett war es mit
rennert, von dem ich eine zwar
falsche, aber ausgezeichnete inszenierungs-
probe von “rake’s progress” sah.*
– momentan bin ich daheim, habe ein
bisschen gearbeitet für das gsovsky-


ballett. nachher muss ich wieder los
gen wiesbaden, wo unser ballett-
abend* sich zu einem serienerfolg zu
entwickeln scheint. köhler geht, damit
wird meine tätigkeit auch ein ende
haben. frag mal hartmann, ob er mich
nicht in stockholm gebrauchen kann und
ich baue dort ein ballett auf?! aber
das ist ja wohl quatsch.

neuerdings habe ich es wieder sehr mit
der traurigkeit und dem winter. das leben
ist beschwerlich.

die proben zum boulevard fangen an.*
ich erwarte mir viel von dieser sache,
hoffentlich läuft sie nicht aus wie
das hornberger schießen. ich habe es schwer,
und es wird immer schwerer, je
besser ich werde. dabei komme ich mir
immer wieder wie ein kleiner anfänger
vor; nur ganz langsam, mit zahlreichen
verworfenen entwürfen, geht z.b. die
arbeit an dem gsovsky-ballett
voran, das eine manifestation meiner kunst
werden soll. ich gebe mir große


mühe; auf der anderen seite möchte
ich gern in die erémitage gehen.
oft weiss ich gar nicht mehr, woher
ich die kraft zum “durchhalten” nehmen
soll.

j’ai parlé avec Butzi sur un garçon
a Stuttgart, qui me visit quelquefois
et qui est par mal. Je trouve lui
très joli mais c’est tout, pendent
Butzi dit il est formidable et un
merveilleux charactér. Un ami de lui
à Hamburg a me dit la même chose.
Alors je pense beaucoup a ce problem,
quand il est tellement joli – pourcoi
est-que je n’aime pas le garçon?

Peut-être il faut m’educer encore
à savoir comment il faut aller
pour aimer un autre et à comprendre
l’esprit de l’amour. Je commence
à découvrir que tous mes biens
sentiments sont conné avec des
attitudes et habitués. Il faut être
plus simple et retrouver une innocenté
certaine. – J’espère que tu


es capable à [s(?)éc]outer mon Kafka
au radio un fois, je serai
te dire le temp.* La musique est
très triste et existenzialiste et
elle raconte beaucoup de moi, et
de l[ea] lettre de J.P. Martino que
tu m’a traduite, et tous les mé-
chantes choses après.

j’espère que tu es heureuse
je t’embrasse

hänschen

[Manuskript]

[...]

Ich habe mit Butzi über einen Jungen in Stuttgart gesprochen, der mich manchmal besucht und den ich nicht schlecht finde. Ich finde ihn sehr hübsch, aber das ist alles, während Butzi sagt, dass er toll ist und ein wunderbarer Charakter. Ein Freund von ihm in Hamburg hat mir das selbe gesagt. Daher denke ich viel an dieses Problem – wenn er so hübsch ist, warum liebe ich den Jungen nicht?

Vielleicht muß man mich noch erziehen, damit ich weiß, wie man es macht, jemanden anderen zu lieben und wie man den „Geist“ der Liebe versteht. Ich beginne zu entdecken, dass alle meine guten Gefühle verbunden sind mit Haltungen und Gewohnheiten. Ich muß einfacher werden und eine gewisse Unschuld wiederfinden. – Ich hoffe, du kannst irgendwann meinen Kafka im Radio anhören, ich werde Dir die Zeit schreiben. Die Musik ist sehr traurig und existentialistisch und sie erzählt viel von mir, und von dem Brief von S.V. Martino, den Du mir übersetzt hast, und all den schlimmen Sachen danach.

[...]

Translation by Rotraud Capelle

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle
Translation  
Rotraud Capelle

Tradition

  • Text Source: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Shelf mark: GW 31

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • Doppelblatt: helles Papier
    • Faltung: 1mal quer
    • Extent

    • 2 folios
    • 4 written pages
    • Dimensions: 210x148 [mm] (HxW)
    • Layout

    • Rand: 3,5 cm

Writing styles

Text Constitution

  • "… mes biens sentiments sont conné"Der Schlussbuchstabe dieses Wortes ist unleserlich überschrieben.
  • "… sont conné avec des attitudes"Bei dem dritten t sind Korrekturspuren.
  • "s(?)"deleted by overwriting
  • "éc"added inline
  • "e"deleted by overwriting
  • "a"added inline

Commentary

  • "… Anfang November 1951"Der Brief muss Anfang November 1951 geschrieben sein, da die erwähnte Inszenierung von Rake’s Progress in Hamburg Anfang November 1951 stattfand und Henze von Probenbesuchen in Hamburg spricht.
  • carissima
    • liebste
  • "… der reise nach hamburg war."Vielleicht war Walter Jockisch zu dieser Zeit bereits in Hannover zur Vorbereitung der Proben zu Boulevard Solitude, vgl. weiter unten.
  • "… verschoben werden, aus technischen gründen."Die Vorführung von Henzes Funkoper “Der Landarzt” fand am 19. November 1951 in Hamburg statt, die Ursendung folgte am 29. November 1951; vgl. auch Autobiographie S. 128.
  • "… probe von rake's progress sah."Die Aufführung von “Rake’s Progress” fand in Hamburg Anfang November 1951 ungefähr zeitgleich mit der deutschen Erstaufführung in Stuttgart am 5. November 1951 statt.
  • "… , wo unser ballett abend"Henze meint hier wahrscheinlich den ersten Ballettabend der Saison 1951, vgl. hierzu den Brief vom September 1951.
  • "… proben zum boulevard fangen an."Die Uraufführung von “Boulevard Solitude” fand am 17. Februar 1952 in Hannover statt.
  • erémitage
    • Einsiedelei
  • "par"recte "pas".
  • "pourcoi"recte "pourquoi".
  • "… serai te dire le temp."Vgl. hierzu den folgenden Brief vom 27. November 1951, in dem Henze das Sendedatum mitteilt.
  • j'espère que tu es heureuseje t'embrasse
    • Ich hoffe, dass Du glücklich bist. Ich umarme dich.

      Automatical Commentary

      • "hartmann"Assignment not clear.
      • "J.P. Martino"Assignment not clear.

      XML

      Credits

      Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

      If you've spotted some error or inaccuracy please do not hesitate to inform us via henze-digital [@] zenmem.de.