Letter (with Enclosure) from H. M. Enzensberger to H. W. Henze, between 10 and June 20, 1972

Settings

Show markers in text

Absolute Chronology

Preceding

Following

* Lieber Hans

     das sind die schönsten Briefe*, so voller Laune und
voll der schönsten glücklichsten Einfälle. Ich sehe schon an der Art
wie du deine Sätze baust daß alles gut geht und daß die Musik sehr
schön und absolut richtig wird. Full of good and terrible vibrations.
Kein einziger deiner Vorschläge stößt auch nur auf den geringsten
Widerstand. Nicht weil ich gutmütig wäre sondern weil die Vorschläge alle
das Richtige treffen, mit der Sicherheit dessen der das eben kann. Mir
fehlt in vielen Fällen die Bühnenerfahrung, ich weiß auch nie recht
wie lang etwas wird. Das ist übrigens auch schwierig wenn man die Musik
nicht hört, weil manche Sachen so a tempo komponiert werden können daß
der Text im Nu verbraucht ist.

Ich bin auf jeden Fall dafür Längen im komponierten Text rücksichtslos
zu kappen. (Was den Sprechdialog angeht, so glaube ich daß da noch hie
und da Luft drin ist, möchte aber die endgültige Fassung an Hand der
Proben machen lassen und dabei – nur dabei – soll auch der Regisseur einige
Freiheit haben.)

Zum Anfang, dh zum Tivoli-Couplet, sehe ich keinerlei Schwierigkeiten,
eine Strophe zu streichen, und zwar schlage ich vor: die erste. Die
zweite würde an den Anfang rücken und die "Brücken" (Herrentoilette)
müßten leicht umgesetzt werden.

Ich bin dir dankbar dafür, daß du auch minimale Textänderungen mir meldest
die an sich ganz unproblematisch sind, damit ich sie in mein Handexemplar
eintragen kann.* Ich rechne natürlich damit, daß in den nächsten Wochen
noch allerhand Änderungen nötig werden. Schreib mir ungeniert, ich ant-
worte postwendend, damit auf deinem Weg zur Komposition keine Steinchen
liegen. Das räumen wir alles aus dem Weg.

Rachels Illusion kann ohne weiteres um eine ganze Strophe gekürzt werden.
Dabei schmelzen wir Strophen II und III ein (siehe Manuskript).*

Freue mich sehr über deine Erfindungen Fernrohrvermieter, Terzett mit Paco,
Zeugen-Chansons, Musik aus dem Haus (moonshine) und Instrumentierungsideen.
Das einzige worunter ich wirklich leide (acute suffering, douleur, padecimiento)
ist daß ich nichts hören kann. Als wenn ich taub wäre. Alle diese Leute
die da singen und ich vernehme keinen Ton. Wenn es nur tapes gäbe, dann
müßtest du mir welche schicken. Alsbald. Ich brenne vor Neugierde.


Ich fühle mich äußerst wohl in diesem Sommer, hatte happy days in London
und Amsterdam und sitze jetzt ganz gelassen und vergnügt hier, obgleich
faul und unproduktiv, sozusagen das Gegenteil von dir: ein faisnéant oder
quasi. Ich lasse mir Zeit und das tut mir gut. Im Herbst vielleicht fange
ich was Neues an.

Nicht einmal leide ich unter dem Geldmangel unter dem ich leide. Weil die
Steuer von mir über Nacht 25ooo Mark verlangt die ich nicht habe. Weiß
nicht recht was ich machen soll. Kannst du mir sagen ob die NET dir die
letzte Rate der commission bezahlt haben? Sie ist fällig "as soon as NET
has decided to go ahaed with the production
"
- was heißt das genau? Ist
diese Entscheidung noch nicht gefallen? Ichxxx Bitte sag mir das damit die
Finanzbeamten mich nicht pfänden. Nervös machen laß ich mich nicht, sitze
da wie ein Buddha und denke, irgendwie wird das schon gehen, fragt mich
bloß nicht wie.

Würde dir gerne weiter ein paar artige Seiten schreiben und allerhand
erzählen; dagegen spricht aber daß du diesen Brief bald bekommen mußt,
also sofort, also fort zur Post und weg mit den Steinchen auf deinem Noten-
papier.

Was wir uns alles erlauben, ay! das erfreut mein Herz. Der Haß der
Kritiker und die Liebe der Zuschauer sollten uns gewiß sein.

je t’embrasse, mang

lieber hans, das foto* ist nach wie vor
Unikat. Kennst du einen fotographen, der
davon reproduktionen machen kann? wir brauchen
das Bild unbedingt für die Presse usw und ich
hätte so gern auch eine Kopie! verwahr es gut m

This is a reduced preview. For further information switch to the edition of the Dokument

Seite 14 Mitte:

Statt: "Das darfst du nicht von mir denken" lies "Sowas darfst du nicht von
mir glauben!"
Statt: "Ich möchte dir mein Leben schenken" lies "Wir waren doch wie die Tauben"

Strich von S. 14 unteres Drittel (ab Eusebio:)
bis S. 15 oben "mein Bijou"

Strich S. 15 Mitte (ab Rachel: "Was ich auf dem Kanapee tu")bis   >S. 15 unten
mein Bijou"

Kürzungsvorschlag zu Rachels Illusion (Seite 50-54)
falls das Ganze zu lang wird, also fürs 5. Tableau nur zwei statt drei
Strophen bleiben sollen, schlage ich aus inhaltlichen Gründen vor,
die erste Strophe über die Liebe so zu lassen wie sie ist und die zweite
aus 2 und 3 neu zu basteln (also die beiden über Musik und Kunst zusammen-
zuziehen, wobei Musik geopfert werden müßte, weil "Kunst" die wichtigere,
übergeordnete Kategorie ist). Dabei ergäbe sich folgender Text für die
zweite Strophe:

Ach da bin ich abgeschwommenAch da werd ich ganz benommenvon der KunstDas tut mir ganz und gar nicht leidIch liebe diese Üppigkeitin der KunstWofür ich hochtrainiert binwenn ich nur engagiert bindas ist die KunstDa bin ich jederzeit bereitDa geh ich jederzeit zu weitin der Kunst(Gesrpochen.) Und wehe, wenn mir da einer in die Quere kommt!Ich spiele gottseidankstets vabanquein der KunstIch weiß, sie ist bloß
eone Illusion
(Gesprochen.) Das braucht ihr mir doch nicht zu erklären!Doch ich laß sie nicht losEs ist doch was dran.. usw [sic] bis zum Schluß

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Paul Sacher Stiftung (CH-Bps)

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • festeres helles Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Extent

    • 2 folios
    • 2 written pages
    • Dimensions: 297x210 [mm] (HxW)
    • Layout

    • anderthalbzeilig, kein Einzug, keine Leerzeilen

Writing styles

Text Constitution

  • "a""e" replaced with "a"
  • "n""g" replaced with "n"
  • "ü""ä" replaced with "ü"
  • "d""s" replaced with "d"
  • "se""en" replaced with "se"
  • "Ich"deleted by overtyping
  • "e""t" replaced with "e"
  • "a""l" replaced with "a"
  • Following: handwritten, ballpoint pen (red), Enzensberger, Hans Magnus

Commentary

  • "… Mitte Juni 1972"Die Datierung ergibt sich aus dem direkten Bezug Enzensberger auf die Briefe Henzes vom 5. Juni und 6. Juni 1972.
  • "… das sind die schönsten Briefe"Vgl. Brief vom 5. Juni 1972.
  • "… in mein Handexemplar eintragen kann."Im Nachlass von Hans Magnus Enzensberger im DLA Marbach haben sich drei z. T. unvollständige Typoskripte zu "Ay Rachel" mit unterschiedlich vielen handschriftlichen Korrekturen erhalten. Es konnte im Rahmen der Edition nicht ermittelt werden, welches Typoskript wohl das "Handexemplar" Enzensbergers war.
  • "… und III ein (siehe Manuskript)."Vgl. das beiliegende Blatt.
  • douleur
    • Schmerz
  • padecimiento
    • Leiden
  • faisnéant
    • Nichtstuer
  • "ahaed"recte "ahead".
  • "fragt"recte "frage".
  • je t'embrasse
    • Ich umarme dich
  • "… lieber hans , das foto"Hier spricht Enzensberger von dem Photo der Rachel, vgl. den Brief vom 16. Mai 1972, in dem Henze das Photo erwähnt und den Brief von Anfang September 1972, in dem sich Enzensberger für ein Kopie daavon bedankt.

        XML

        Credits

        Mit freundlicher Genehmigung der Erbengemeinschaft Hans Magnus Enzensberger.

        Legal notice

        Alle Rechte an den Briefen Enzensbergers verbleiben bei der Erbengemeinschaft Enzensberger.

        If you've spotted some error or inaccuracy please do not hesitate to inform us via henze-digital [@] zenmem.de.