Brief von H. W. Henze an H. M. Enzensberger, 28. Januar 1968

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[Manuskript]

La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)
28 I 68
    Companero mio ,

es war sehr gut von Dir, mir zu schreiben.* Weisst Du, dass Gaston und
viele andere Dich für sie sehr wichtig halten? Ebbene[sic] , ich
halte Dich auch für mich wichtig, und bin ein Freund von Gaston
(der nun wiederum selbst mich für die Bewegung wichtig findet)*
also ist es gut dass Du geschrieben hast und dass Du „gern dabei“
wärst" bei der neuen Sache. Also ich hoffe, im März? Ende
März
hab ich die „Bassariden“ an der Scala (am 26. wohl)*
danach fände ich es dann hier sehr geeignet. Ist dann auch
schon Frühling. Was Du beschreibst, wie Du es Dir denkst, das
gefällt mir schon sehr. Du hast völlig Recht: Man muss jetzt
schon ganz anders reden. Auch Selbs t kritik.

Die Sache „Oper“ darf so lang werden, wie wir wollen.*

Über die Tagung in Habana * haben mir Pasolini und Arroyo be-
richtet, die Berichte des Letzteren waren lebensvoller, aber beide
sprachen viel von Dir dabei. Ich möchte auch gern nach Cuba,
z. B. Musik unterrichten (da müsste ich vorher Spanisch lernen)
ich finde ich kann nur hingehen wenn es einen Sinn hat
für das Land. Ich denke auch, Musik ist ja wohl im Moment auch
noch die kleinste Sorge.

Hoffentlich erreicht Dich dieses noch vor Verlassen von Middletown.
Wie kann man auch “Middletown“ heissen!

Hier tut sich eine Menge. Ich löse mich ab von meiner Ver-
gangenheit, meinen Vergangenheiten, und meine Musik „macht sich.“


La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)

Du weisst dass ich dieses Oratorium „das Floss der Medusa“ (auf einen Text
den Schnabel aus Berichten und Divina commedia und Eigenem komponiert hat) im
letzten Herbst angefangen, als Requiem für Che mache? Es gibt der ganzen
Sache ein anderes Tempo, andere Farben, alles neu, alle Routine weg.
(leider gibt es kleine Ärger mit old Schnabel, es gab neulich in Berlin
eine fürchterliche Diskussion zwischen jenem und Gaston, letzterer siegte natürlich
und Schnabel verliess das Haus etc etc – aber ich erzähle Unwichtiges)
Wenn ich nach Cuba gehe, bringe ich das Tonband davon mit. (wird am 9.12.68
in Hamburg uraufgeführt, the composer conducting.)* Im letzten “Kursbuch“ stehen
interessante Sachen, auch von Deinem Bruder, über den Schmutz.*

Wir müssen viel sprechen, ich habe viele Probleme noch immer. Denn: hier
ist man ja doch ziemlich isoliert. Obwohl sich in letzter Zeit auch in Rom
was rührt und mein Haus sowas wird wie Dein Haus in Berlin es ist.
Wo ich übrigens morgen hinfliege um zu helfen bei der Vorbereitung des
Kongresses, der Mitte Februar sein soll.* Das ist meine „Erholung“ vom Kompo-
nieren, bin halb mit dem Requiem fertig, sehr müde, vielleicht etwas
krank. Auch ich erlebe dolle Sachen auf dem Spezialgebiet des Eros,
mamma mia, dabei ist es bei mir aus geographischen Gründen rein psychisch.

     Wünsche Dir eine gute freie Zeit in New York: auf eigene Faust, das
muss gut sein! Klasse!

Wie merke ich, wenn Du hier ankommst?

Schott ist ein Problem, sie haben mich gekauft bis 1975, mittels Vertrag, den ich,
in einem Augenblick finanzieller Misere, unterschrieben habe. Aber man wird sehen.
Alle Verleger sind Verbrecher, mehr oder weniger.

Schreib mal aus New York (falls ich da plötzlich auftauche, was möglich wäre)

viva la libertà!
hans

Übersetzung von

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Deutsches Literaturarchiv Marbach (D-MB), A: Enzensberger, Hans Magnus
    Signatur: Briefe Hans Werner Henze

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • cremefarbenes Briefpapier mittlerer Stärke, strukturiert
    • WZ: das Stempelartige "- PINEIDER - FIRENZE · ROMA", hier nur teilweise zu sehen
    • Faltung: Drittelfaltung quer auf Dinlang
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 276x220 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Die Anführungszeichen in der Regel unten-oben.
    • Rand: 4 cm
    • Absätze nicht eingerückt und ohne Abstände

Schreibstile

Textkonstitution

  • "Ebbene"sic
  • """durchgestrichen
  • "… Du gern dabei wärst ""nach dem Wort wohl noch einmal Anführungszeichen oben gesetzt, scheint ausgewischt bzw. gestrichen, sieht jetzt aus wie kleines hochgestelltes "m"
  • "t""k" überschrieben mit "t"
  • "… hans"Der Anfangsbuchstabe von „hans“ mit langem Abstrich

Einzelstellenerläuterung

  • Companero mio
    • Mein Partner
  • "… von Dir, mir zu schreiben."Henze bezieht sich auf den Brief Enzensberger vom 22. 1. 1968.
  • "… für die Bewegung wichtig findet)"Henze und Gaston Salvatore engagierten sich in der „Bewegung“, arbeiteten aber auch sofort künstlerisch zusammen; vgl. die Beschreibung der Freundschaft in der Autobiographie S. 288–292.
  • "… der Scala (am 26. wohl)"Die italienische Erstaufführung fand in der Tat am 26. März 1968 an der Scala statt.
  • "… lang werden, wie wir wollen."Vgl. hierzu die Überlegungen von Enzensberger im vorangehenden Brief.
  • "… Über die Tagung in Habana"Es handelt sich um den Kulturkongress vom 4. bis 11. Januar 1968 in Havanna, der viel Beachtung in Europa gefunden hatte; vgl. https://www.wikiwand.com/es/Congreso_Cultural_de_La_Habana.
  • "… uraufgeführt, the composer conducting .)"Zur Uraufführung der „Medusa“ vgl. die Briefe von Henze und Enzensberger von Ende 1968 und Anfang 1969.
  • "… Bruder , über den Schmutz."Henze bezieht sich hier auf das Kursbuch 10 vom Oktober 1967. Darin befindet sich von Christian Enzensberger ein Beitrag mit dem Titel "Größerer Versuch über den Schmutz", S. 87–105.
  • "… der Mitte Februar sein soll."Hierbei handelt es sich um den „Internationalen Vietnamkongress“, der vom 17. bis 18. Februar 1968 an der FU Berlin stattfand.
  • viva la libertà!
    • Es lebe die Freiheit

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        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

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