Letter from H. W. Henze to G. Weil/W. Jockisch, September 4, 1959

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4 Sept 59
Liebe Butzelis:

es war eine schöne Reise, am ersten Tag kamen wir (auf der tod-
schicken Autostrada del Sole) bis Parma, am 2. Tag, ebenfalls
unter einer blauen Käseglocke, ital. Himmel genannt, bis zu einem
kleinen dummen Fischerort in der Toscana, am nächsten Morgen regnete
es und wir kamen nachmittags in Neapel an, wo alles in gold
und gelb war und wenig später blauschwarz und voller Blitze, wonach
es dann bis gestern abend regnete und auch in meinen salotto
hineinregnete und auf einen Caffébesuch[sic] aus Spanien platschte.
Aber heute scheint der berühmte Herbst zu beginnen mit dem nicht
so anstrengenden Wetter. Fühle mich lazy, aber schnüffele mit geheuchelter
Neugier in den unfertigen Skizzen des 3. Homburgakts herum.

Es war sehr schön in Ascona bei Euch, wir haben es sehr
genossen und (Giulio wird es von sich aus tun) wir danken Euch sehr
für alles Liebe und Freundliche. Die Maggia war auch fein, und
ich fühle mich redlich erholt. Hoffentlich habt Ihr auch einen
schönen Herbst mit viel Lampenfieber dem neuen Haus gegenüber!*

Kurz vor der Abfahrt nahmen wir noch, in Ascona, ein snack
an der Snack Bar (wo Beethovens “für Elisa[sic] zu hören ist) in jener
neuen Piazza mit dem Grabmal der unbekannten Heuschrecke. Dabei fiel
mein Auge auf einen leider geschlossenen Laden mit Chinoiserien.
Unter diesen dummen Chinoiserien befand sich auch ein blauer Löwe,
auf einem Sockel sitzend, klein. Im Hintergrund des Ladens aber gab
es auch grössere Editionen des gleichen Animals, und wenn es Dir
gelänge, liebe Butza, ein Paar, also 2 solcher Löwen, zu erwerben (falls
sie z. B. 50 fl. nicht überschreiten) wäre ich Dir sehr dankbar
und würde sie in Frankfurt demnächst abholen. Etwas mehr kann
es auch kosten. Aber es müssen die blauen sein. Und beide gleich gross.


Leider ist der séjour hier ja wieder mal nur recht kurz,
und nur mit Grauen kann ich an die bevorstehenden Begegnungen
mit dem geliebten Deutschtum denken – man fragt sich gern,
ob es denn wohl auch wirklich einen Sinn hat: das sind
die Nachteile des friedlichen Lebens.

     In einer Stunde kommt Giulio zum Kompositions-
unterricht (3 stimmiger klassischer Kontrapunkt) während
Jürgen mon frère sich für seine morgige Architekturstunde
vorbereitet (in der Nationalbibliothek copierend)* und ich
langsam wieder in die gewohnte Lebensweise zurücktrotte, nach
diesen so schönen und eindrucksvollen Ferien (wie mir z. B.
die Wasserfälle gefallen haben! Und die Steiermark, das Engadin,
etc.!) (j’adore la matyre)

Habe viel gelesen über die beat Generation, Allen Ginsberg etc.
alles recht missmutiger sinnloser gutbezahlter Verzweiflungsrummel
eines Herrn der wahrscheinlich in erster Linie deshalb so
ungehalten ist weil niemand es mit ihm mehr treiben
mag (schon deswegen weil er sich aus Prinzip nicht
wäscht) (ja warum steht er dann nicht zum Prinzip
und beisst die Zähne zusammen, per Dio!)

Permettemi ora, cari Signori Amici, di prendere congedo
da voi e di trasmetterli i miei più cordiali saluti
e ringraziamenti –

Euer
hänschen

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Shelf mark: GW 31

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • helles Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Extent

    • 2 folios
    • 2 written pages
    • Dimensions: 297x210 [mm] (HxW)
    • Layout

    • Rand: Bl 1: 2,5 cm, Bl 2: 4 cm
    • Absatz Einzug 2 cm
    • Anführungszeichen unten oben

Writing styles

Text Constitution

  • "Caffébesuch"sic
  • "Elisa"sic

Commentary

  • salotto
    • Wohnzimmer
  • "… Lampenfieber dem neuen Haus gegenüber!"Wahrscheinlich eine Anspielung auf die neue Stelle Walter Jockischs als Oberspielleiter an den Städtischen Bühnen Oberhausen.
  • séjour
    • Aufenthalt
  • mon frère
    • mein Bruder
  • "… vorbereitet (in der Nationalbibliothek copierend)"Henzes Bruder Jürgen wohnte seit Herbst 1959 bei ihm in Neapel, vgl. die Autobiographie S. 197.
  • j'adore la matyre
    • Ich bewundere das Matyrium
  • per Dio
    • bei Gott
  • Permettemi ora, cari Signori Amici, di prendere congedoda voi e di trasmetterli i miei più cordiali salutie ringraziamenti –
    • Erlauben Sie mir nun, liebe Freunde, mich von Ihnen zu verabschieden und Ihnen meine herzlichsten Grüße und meinen Dank zu übermitteln.

        XML

        Credits

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

        If you've spotted some error or inaccuracy please do not hesitate to inform us via henze-digital [@] zenmem.de.