Letter from H. W. Henze to W. Jockisch, January 1949

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henze
göttingen,
Weender str. 20 IV

lieber herr dr. jockisch,

daß Sie mir nun doch mal geschrieben haben, finde
ich wirklich sehr lieb von Ihnen, hatte ich doch schon
geglaubt, Sie hätten etwas gegen mich. aber ich verstehe,
daß die große arbeitslast Sie nicht gerade auch noch
zu privaten briefen mehr als nötig animiert. vielen dank
also und beste wünsche für Ihre gesundheit!

ich bin gar nicht größenwahnsinnig geworden*, sondern sitze
ohne geld hier in göttingen und komponiere, ein ballet, es
geht aber nur sehr langsam vorwärts*. heute schrieb wolfram
fortner
, meine oper solle am 20. II. in heidelberg herauskommen*,
wenn ich gewußt hätte, daß Sie sich wirklich interessieren und
aussicht vorhanden ist, hätte ich sie Ihnen schon zehnmal als
uraufführung gegeben, so oft war ich nahe daran, denn es hat
so viel ärger gegeben. aber lindemann ist ein sehr guter
musiker, der beziehung zu dieser art musik hat, und er freut
sich sehr auf die aufgabe. die proben sollen jetzt im gange
sein. Sie kennen ja mein faible für heidelberg, so ist mir
also auch der gedanke, daß dieses (mein konzentriertestes und
persönlichstes) stück dort zum ersten male gespielt wird, ganz lieb. auch
die dresdner staatsoper hat fest vor, es zu machen*, und so
möchte ich Ihnen sagen, daß ich sehr sehr stolz und froh
wäre, wenn Sie es in stuttgart auch spielen würden. vielleicht
noch in dieser saison?* ich weiß ja auch nicht, ob es ein
erfolg wird. ich glaube, es ist ziemlich schwer zu verstehen
und in verschiedener hinsicht ganz neuartig. jedenfalls hoffe
ich, daß Sie zu der heidelberger aufführung kommen können
und wir uns einigen. leitner will offenbar, was mein violin-
konzert
betrifft (es wurde im dezember in baden-baden gespielt*
und fand starke beachtung) einen zurückzieher machen. das
finde ich sehr betrüblich. – ich bleibe bis zum 6. II.
da wird in bielefeld ein neues stück von mir, ein dicker


brocken für chor und orchester herausgebracht chor gefangener
troier
, natürlich von goethen wegen des goethejahres.* wohlan.

    nun noch was. Sie wissen vielleicht, daß ich mich für
tanz so stark interessiere, genauer gesagt für klassisches ballet[sic],
weswegen ich auch eines schreibe, das, falls es ashton gefällt,
vom sadler’s wells ballet in london getanzt werden soll, ein
“ballet blanc”. (ich lasse es aber in deutschland erst
mal konzertmäßig spielen und auf platten schneiden und fahre
denn selbst nach england).* also hier gibt es eine tanz-
gruppe unter krüger. sie ist besser als sonst wo, wenn auch
die maiden noch sehr mit den monatsbinden von “glaube
und schönheit”
winken. diese gruppe wird reduziert werden
aus geldgründen. jetzt will ich Sie (ganz privat) fragen, ob in
stuttgart das bedürfnis nach einem noch ganz jungen, sehr
guten tänzer* mit großer begabung und technik, lyrischer typ,
besteht, und ich bitte Sie, mir diese frage sobald Sie können
zu beantworten. ich kenne ihn gut, er tanzt heute in hamburg
vor und hat auch noch zwei andere angebote, die aber von
schlechteren instituten als stuttgart kommen, und in hamburg
droht die dame dore hoyer balletmeisterin zu werden, was ich
für verhängnisvoll halte.*

ich hoffe, daß Sie mal wieder zeit
zu ein paar zeilen oder einer postkarte
finden!
herzliche grüße
auch an herrn wetzelsberger
Ihr henze

Editorial

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Shelf mark: GW 31

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • helles dünnes Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA 6 und noch einmal Rand eingefaltet?
    • Extent

    • 1 folio
    • 1 written page
    • Dimensions: 254x0201 [mm] (HxW)
    • Layout

    • Rand: 3,5 cm

Writing styles

Text Constitution

  • "ganz lieb."added above
  • "ballet"sic
  • "k""r" replaced with "k"

Commentary

  • "… Januar 1949"Da Henze einerseits die Uraufführung seines 1. Violinkonzerts im Dezember 1948 erwähnt und andererseits die bevorstehende Uraufführung seines “Chors gefangener Trojer” Anfang Februar 1949, muss dieser Brief im Januar 1949 geschrieben sein.
  • "… bin gar nicht größenwahnsinnig geworden"Vielleicht hatte Jockisch in seinem Brief auf Grund der erfolgreiche Uraufführung von Henzes 1. Violinkonzert am 12. Dezember 1948 scherzhaft angedeutet, er solle nicht größenwahnsinnig werden.
  • "… aber nur sehr langsam vorwärts"WAhrscheinlich handelt es sich hierbei bereits um die Ballett-Variationen.
  • "… 20. II. in heidelberg herauskommen"Die Uraufführung von “Das Wundertheater” fand erst am 7. Mai 1949 statt.
  • "… fest vor, es zu machen"Nach Hochgesang (S. 432) hat eine Aufführung des “Wundertheaters” in Dresden nicht stattgefunden.
  • "… vielleicht noch in dieser saison?"Eine Aufführung des “Wundertheaters” in Stuttgart lässt sich 1949/1950 nicht nachweisen.
  • "… im dezember in baden-baden gespielt"Die Uraufführung des 1. Violinkonzerts fand am 12. Dezember 1948 in Baden-Baden statt.
  • "… denn selbst nach england )."Hierbei dürfte es sich um die Arbeit an den Ballett-Variationen handeln, die Henze in der Tat zuerst konzertant aufführen ließ; vgl. hierzu die Autobiographie S. 102 und die folgenden Briefe. Eine Zusammenarbeit mit Ashton und dem Sadler’s Wells Ballett erfolgte erst 1958 mit der Uraufführung des Balletts Undine.
  • "… ganz jungen, sehr guten tänzer"Hier dürfte Henze seinen Freund Heinz Poll meinen; vgl. die folgenden Briefe.
  • "… was ich für verhängnisvoll halte."Dore Hoyer wurde 1949 von dem Intendanten Günter Rennert nach Hamburg verpflichtet.

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        Credits

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

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