Brief von H. W. Henze an P. Sacher, 16. April 1964
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[Manuskript]
herzlichen Dank für Jhren Brief vom 9. März –
ich bin bekümmert, dass Jhnen so viele Umständlichkeiten
aus meiner Kantate entstehen, doch hoffe ich, dass alles zu
einem guten Ende kommt (damit meine ich den Aufführungs-
termin 2. April 1956‡) und dass Sie dann doch viele Freude
an dem Stück haben werden. Noch haben Sie mir zu ihm
selbst gar nichts gesagt, und dabei würde ich so gern ein
Echo hören: Es ist immer ein eigenartiger Schwebezustand, wenn
man ein Werk beendet hat und es noch niemand kennt,
kennen kann, man selbst ist um ein Geheimnis weiter als
die Umwelt und doch möchte man es so gern mit ihr teilen,
das Geheimnis, und die Freude. Für mich ist „tu sei la fiaba
estrema“
* ein ganz besonderes Stück, mein erstes nicht gebrochenes, nicht
negatives, nicht ironisches Liebeslied, es wendet sich an niemand,
oder höchstens an eine imaginierte, nicht existierende Person, so wie
es der Text auch tut. Die beiden vorher geschriebenen‡ von der Liebe handelnden
Werke aus dem Jahr 63 (“Ariosi‡
“ und „Being Beauteous“) (sind
beide‡ auch noch nicht aufgeführt, Ariosi kommen im Sommer in
Edinburgh
*, während Being Beauteous im April
hier herauskommt*)
haben noch nicht diese Luzidität jenseits der Verzweiflung, dort
wo Liebe erst möglich wird, wenigstens die in „tu sei la fieba
estrema“ gemeinte. Aber alle drei Stücke haben etwas gemeinsam,
nämlich das‡ Singen und Schweben und die Helligkeit, eine
Transparenz, die ich noch nicht kannte und ein Lyrizitat[sic]‡
die ich noch nicht vorher so frei und aller Emotion offen
gewagt hatte, oder für die meine Zeit noch nicht ge-
kommen war. Auch wohnt ihnen eine schlimme Art von
Freude inne, eine Unmoral, eine vegetative Unmoral, konträr
dem ganzen aesthetischen Tendieren meiner Zeitgenossen. Doch in
der Morante-Kantate erst wird sie ganz und absolut. Beim
Lesen müsste es zunächst auffallen durch die Einfachheit der
Struktur: Fünfzehn Jahre habe ich gebraucht, um so
etwas zu erreichen!
Ich hoffe dass Jhre Gesundung wunschgemäss fortschreitet, und
dass wir uns durch das neue Stück auch endlich einmal
wiedersehen. Ich wäre sehr froh, wenn alles so klappen würde,
wie wir es uns vorstellen. Frau Streich werde ich hier im
April sehen*, vielleicht habe ich bis dahin auch genaue Termine
von Jhnen.
Jhnen und Jhrer Frau sehr herzliche Grüsse
Jhr hans werner henze
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle
Überlieferung
-
Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Paul Sacher
Signatur: Korrespondenz Hans Werner HenzeQuellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- helles, glattes Papier
- Faltung: 3mal quer
- 1 Blatt
- 2 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 297x210 [mm] (HxB)
- nicht gelocht!!!
- Rand links 3 cm; I als J (nicht bei Ich); Anführungszeichen unten – oben
Material
Umfang
Zustand
Layout
Schreibstile
-
1.Handschrift, Henze, Hans Werner, Kugelschreiber (blau).
Textkonstitution
-
"geschriebenen"über der Zeile hinzugefügt
-
"i""o" überschrieben mit "i"
-
"e""es" überschrieben mit "e"
-
"s""[unleserlich]" überschrieben mit "s"
-
"ein Lyrizitat"sic
Einzelstellenerläuterung
-
"1956"recte "1965".
-
"… tu sei la fiaba estrema"Henze zitiert hier den Titel des Gedichts von Elsa Morante als Titel seiner Kantate.
-
"… kommen im Sommer in Edinburgh"Die Uraufführung der „Ariosi“ erfolgte am 23. August 1964. Solisten waren Irmgard Seefried und Wolfgang Schneiderhan.
-
"… Beauteous im April hier herauskommt"Die Uraufführung von „Being Beauteous“ hatte bereits am 12. April 1964 mit Ingeborg Hallstein unter der Leitung von Henze in Berlin stattgefunden. Dies sind die Angaben nach Henzes Werkverzeichnis. Nach der Biographie, S. 266, von Claudia Behn sang allerdings Rita Streich diese Kantate bei der Uraufführung.
-
"… ich hier im April sehen"Vgl. hierzu die Erläuterungen zur Uraufführung von „Being Beauteous“.