Brief (mit Umschlag) von H. W. Henze an G. Weil, 26. April 1970

Zurück

Einstellungen

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend

La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)

26 April 1970
Meine liebe Butza,

durch Renate P. erfuhr ich was passiert ist*. Auch wenn wir uns in den letzten Jahren so gut wie nie gesehen haben, (einmal,
in katastrophalem Zustand bei der insultanten “Lord“ Inszenierung in Stuttgart, was auch schon wieder 5 Jahre zurück-
liegt*) habe ich doch immer an Euch gedacht, und besonders in letzter Zeit Pläne geschmiedet, wie man es ein-
richten könnte, sich zu sehen. Wollte auch immer mal anrufen, was nicht ging weil ich die number nicht
hatte (jetzt habe ich sie) Nun muss ich condolieren, liebe Butza, und weiss doch keine Worte dafür. Ich
stelle mir vor wie es sein muss, nach so vielen Jahren jemand nicht mehr zu haben. Vielleicht war es oft
schwer, aber nun ist es sicher so ganz viel schwerer. Vor 20 Jahren planten wir Boulevard und machten ihn
dann auch, und ich erinnere mich an so viel komische und auch unkomische, an hysterische und traurige auch,
Situationen, aber ich war Euch so dankbar dass Ihr Euch meiner annahmt, zumal die Gründe rein waren
(vieles war damals reiner als es später gehandhabt wurde) und Ihr hattet Eure Last mit mir. Oft habe ich
über Dich nachgedacht: Butza, wie macht sie das, wie schafft sie das? Eine Heldin der Liebe musst
Du sein. Ich habe mich oft über Dich gewundert, habe dich bewundert – deshalb fällt mir in diesem Brief
auch hauptsächlich zu Dir was ein. Hatte vor Butzi immer etwas Angst dass er mich anschreien würde oder
sonstwie die schlechte Stimmung an mir etc. weil ich das nicht ertrage, hauptsächlich wegen der zu befürchtenden
finalen Reaktion von mir die selten vorkommt aber fürchterlich ist. Also so war das. Dein Besuch in
Stuttgart seinerzeit hat mich sehr gerührt. (Bin übrigens nicht immer so kaputt wie ich es da war.*) So viel
Zeit ist vergangen seit wir uns oft sahen, und so kann ich jetzt nur mir vorstellen, wie es ist. Das Haus, das ich
im Anfangsstadium gesehen hatte, und Dich darin. Hoffentlich bist Du jetzt nicht ganz allein, liebe Butza. Wirst Du


La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)

2
schreiben? Vielleicht wirst Du jetzt viel und regelmässig arbeiten. Ich möchte gern von Dir hören. Ich möchte
gern, dass es Dir gut geht, dass Du ruhig bist und dass Du ein equilibre hast. Weisst Du noch, als wir
über eine glatteisige Autobahn von Wiesbaden bis Hannover fuhren?* und wie Du immer Deine aristokratische
Ruhe hattest und eine Art von Ironie die nicht zuliess dass jemals die Provinziellen und die Widerlichen
einen affront landen konnten gegen Deine Dinge, Deine Welt, Deine Geheimnisse! (Einmal haben wir in
Wiesbaden die grosse Schubert C dur gehört.) Du warst eine schwarze Königin der Liebe. Mit schönem grauen
Haar und enormen Augen.

Ich habe kein Recht, von den Schmerzen zu sprechen, kann Dir jetzt auch nichts mehr sagen.

Kann Dich nur umarmen.
Dein
hans

P.S. Falls Renate P. auftaucht,
     sag ihr bitte, sie möchte mich anrufen
(bin aber am 2. 3. + 4. Mai in Paris)

Dies ist eine reduzierte Voransicht. Wechseln Sie für weitere Informationen zur Edition des Umschlags

[Umschlag, Manuskript]



Svizzera

Grete Weil
CH – 6611 Contra/Ticino
Casa Mezzogiorno


La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle; Joachim Veit

Überlieferung

  • Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Signatur: GW 31

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • Papier aber beige; helles Briefpapier La Leprara, dünn
    • Faltung: 2mal auf Dinlang
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 297x223 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Rand: 2,5-3 cm (Briefkopf frei); Blatt quer beschrieben; Anführungszeichen unten – oben

Schreibstile

Textkonstitution

  • "ieren"gelöschter Text nicht lesbar
  • "finalen"unsichere Lesung
  • "i""I" überschrieben mit "i"

Einzelstellenerläuterung

  • [Rotation]Abschnitt, Text im Uhrzeigersinn gedreht (90°).
  • "… erfuhr ich was passiert ist"Hier spricht Henze den Tod von Walter Jockisch am 22. März 1970 an.
  • "… wieder 5 Jahre zurück liegt" „Der junge Lord“ hatte am 14. Mai 1965 in Stuttgart die Westdeutsche Premiere: Die musikalische Leitung hatte Ferdinand Leitner, Regie führte Ernst Poettgen und für Bühnenbild und Kostüm war Leni Bauer-Ecsy verantwortlich, die Rolle des jungen Lord gab Gerhard Stolze; vgl. Autobiographie, S. 253f, dort äußert sich Henze nicht zur Qualität der Inszenierung. Vgl. aber zu der Inszenierung Hochgesang, S. 354–359.
  • "… wie ich es da war."Henze war zu dieser Zeit mit der Beendigung der Bassariden beschäftigt,.
  • equilibre
    • Gleichgewicht
  • "… von Wiesbaden bis Hannover fuhren?"Hier dürfte es sich um eine der Fahrten zu Proben oder zur Premiere von „Boulevard Solitude“ handeln; vgl., die Briefe von Anfang 1952.

        XML

        Dank

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an henze-digital [@] zenmem.de.