Brief von H. W. Henze an H. M. Enzensberger, 14. Dezember 1972
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[Manuskript]
nachdem Du keine anrufe aus
Nyc
mehr
bekommst, weil alles
in ordnung ist (mehr
oder weniger) will ich Dir morgens um 6
doch rasch ein
paar zeilen widmen. in den
letzten tagen habe ich den grösseren teil
der
musik aufgenommen (in den sehr guten
R.C.A. studios) und habe mich sehr
amüsiert.
die inszenierung (für die ich nicht zeichnen
kann, weil ich nicht
in der gewerkschaft bin)
steht. ich hatte grosse hilfe durch Robert
Hegert, ei‡ Herget, einem choreographen, der
sich
gut in den stil eingelebt hat, man
könnte ihn auch für die theater-premiére
ver-
wenden, zumal er nun schon gezeigt hat, was
er kann und wie
er es macht. Rouben Ter-
Arutunians arbeit ist unglaublich gut: es
hat
sich gelohnt, so sehr um seine mitarbeit zu
kämpfen. auch ihn sollten wir
für die bühnen-
premiére nehmen. ja, ich bin ganz zufrieden
und
habe wirklich das stück gerettet und bin um 20
jahre älter geworden dabei. im januar muss
ich wohl nochmal nach N.Y. um das Schneiden
zu überwachen, dass mir da keine dummheiten
gemacht werden. Leider hab ich gar keine lust,
überlege mir aber doch, den rat von leuten
wie Rouben zu befolgen und nicht nachzulassen. hab
auch schon gedacht warum Du nicht kommst
oder wir zusammen: es wäre ja wichtiger noch‡ als
Deine anwesenheit beim drehen!*
anyway, der grund dieses briefes ist aber
der,
dass ich Dir sagen möchte, dass unser stück
sehr gut ist! und dass es allen
schauspielern
und sängern sehr gefällt. weil jede szene,
jeder satz, jede
situation ganz ungewöhnlich
gut funktioniert, nicht als kalt „gemachtes“
theater
sondern als direkte wirkung, ganz rührend und be-
wegend,
und als wahrheit, einfache wahrheit
herauskommend. es hat mich, zugegeben,
überrascht,
ich hätte es in diesem masse nicht für
möglich gehalten! Du
vielleicht auch nicht.
ich habe den eindruck, dass
„La Cubana“
etwas ganz neuartiges ist, dass es so etwas noch
nie gegeben hat. auch die musik hat so
etwas (u.a. auch einen qualitativen sprung:
nach vorn) auch sie macht den leuten spass.
und überdies ist das Ganze sehr „links“ viel
mehr (vielleicht) als wir gewollt haben. am
frappierendsten kommt das am schluss heraus, der
wirklich schlimm ist, und Rouben bedeckt die
alte Rachel mit fummeln, tiaras, straussenfedern,
boas, etc. während die zeugen etc. auf
ihren werkzeugen klappern – es ist alles so
plausibel und richtig. Du bist ein ganz doller
theater-autor, lieber Mang. lass es Dich nicht
verdriessen, sowas kommt in den besten familien
vor! und ich denk dass ich Dir keine schande
gemacht habe, nicht einmal im Tivoli-Couplet:
der anschein dass es harmonisch und stilistisch
eher in die zwanziger jahre gehört, vergeht wenn
man es auf den instrumenten hört. da passt
es genau in die ersten jahre des jahrhunderts und
ist so ärmlich und tropisch und karibisch wie Du
nur willst. und ich lasse Rachel es mit heller kinder-
stimme singen, ganz unschuldig und ungeschult.
We have beautiful Cimarrones. The whole cast
ist beautiful. The costums are
unbelievable. The
music sounds incredible (has nothing
to do
with Weill) I let the Senator speak pianissimo.
old Rachel (Lili
Darvas) is very good and
intelligent, her last scene especially is great
and
rather terrifying. Astern-Duett is a hit. I
corrected 80% of the
translation, took all
the himbeersauce out and restored the original
meaning,
cut every single free invention Mandel
had allowed himself and forbade him to
come
onto the premises again. Most of the time I
behave awfully bad in order
to get what I
want. Only the cast I treat with kindness.
Browning is shit.
But he can’t do much harm
any more (except in the editing where we should
be present) still I resent him that he’d
tried
to change our beautiful and lovely and truthful
work and that he had no
respect. Shit person.
I hope I can bring the tape with music and
dialogues (must steal it)* then I send you a copy of
it. Very happy!
Sei umarmt und lebe glücklich und
freu Dich über unser stück!!!! Love –
hans
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Deutsches Literaturarchiv Marbach (D-MB), A: Enzensberger, Hans Magnus
Signatur: Briefe Hans Werner HenzeQuellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- creme-weisses Briefpapier mittlerer Stärke von Georg Solti (Name immer schräg gestrichen), DinA 5, normale Papierstärke; oben Spuren von rotem Kleber, als wären die Blätter von einem Block gerissen
- Faltung: zweimal gefaltet für kleinen Briefumschlag, ca. 8x14
- 4 Blätter
- 4 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 215x140 [mm] (HxB)
- Briefkopf Georg Solti: "georg solti" oben links in kleinen Buchstaben in dunkelblau aufgedruckt
- Rand: 1,5-1cm schräg zulaufend (S.1), 0,5cm (S.2-3)
- Anführungszeichen: hier standardmäßig oben
Material
Umfang
Layout
Schreibstile
-
1.Handschrift, Henze, Hans Werner, Filzstift/Fineliner (violett).
Textkonstitution
-
"georg solti"durchgestrichen, handschriftlich, Filzstift/Fineliner (violett), Henze, Hans Werner
-
"… georg solti"Hier sind beide Namen einzeln durchgestrichen, auf den nächsten Seiten mit einem Strich.
-
"Hegert, ei"durchgestrichen
-
"georg solti"durchgestrichen, handschriftlich, Filzstift/Fineliner (violett), Henze, Hans Werner
-
"noch"über der Zeile hinzugefügt
-
"georg solti"durchgestrichen, handschriftlich, Filzstift/Fineliner (violett), Henze, Hans Werner
-
"georg solti"durchgestrichen, handschriftlich, Filzstift/Fineliner (violett), Henze, Hans Werner
Einzelstellenerläuterung
-
"… georg solti"Georg Solti hatte die Uraufführung von „Heliogabalus“ am 16. November 1972 in Chicago dirigiert und auch Wiederholungen in Washington und New York; vgl. Autobiographie S. 376. Vielleicht hatte Henze ihn um Briefpapier gebeten, weil er zu wenig mitgenommen hatte? Nur der erste Brief von dieser Reise an Enzensberger ist auf seinem eigenen Papier notiert.
-
"… als Deine anwesenheit beim drehen!"Enzensberger lehnt eine Reise nach New York ab. Im Brief vom 9. Januar 1973 schreibt Henze, dass auch er nicht zum Schnitt nach New York fahren wird.
-
"… and dialogues (must steal it)"Im Brief vom 9. Januar 1973 schreibt Henze, dass er auf ein Band wartet und am 11. April 1973 beklagt er die Qualität des erhaltenen Bandes.