Brief von H. M. Enzensberger an H. W. Henze, 11. Dezember 1972
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[Typoskript]
lieber[sic]‡
Hans, dies kommt fast sicherlich zu spät, aber ich schreibe dir
trotzdem diese Seite voll über Mandels Übersetzung. Es ist eineBoradway‡-
Übersetzung: sie ist insofern
professionell, als der Typ schon weiß wie
man in den USA was verkaufen muß.
Nicht professionell ist sie im Hinblick
auf
Textverständnis und den Willen zu sagen was die Autoren zu sagen haben.
Es
ist ganz und gar unmöglich, alle von Mandels Böcken aufzuzählen
und
auszubessern. Aber schon for the record hier
das Allerwichtigste, das
was unter allen Umständen geändert werden muß,
soweit ihr das nicht schon
inzwischen getan habt.
Prolog: Hier ist mein Schlußsatz mit Bedacht so gesetzt; daß er endet:
wie kleine Mandeln. Von Sarah Bernhard ist nicht die Rede. Die Mandeln
sind besser.
Tivoli-Song: Ein Fall von direkter Zensur. Auf Habana reimt sich bei mir
Sternenbanner. Derselbe Reim ist auch auf Englisch möglich, er bietet sich
an: Star-spangled banner – Hab‡anna. Daß Mandel mit voller Absicht diesen
Reim umgangen hat, kann kein Zufall sein.
Evergreen Duet
: hier sind statt immergrün die Farben blue and brownish
eingeführt. Das gefällt mir gar nicht. Wenn evergreen aus silben- oder
andern Gründen unmöglich ist, muß man eine andere Farbe suchen und finden,
die stilistisch paßt, irgendein kitschiger Farbnamen muß sich schon finden.
Zum Beispiel meergrün, ametysten, smagragden‡. Wie wärs mit memory-green?
Außerdem sind in der Übersetzung einige Zeilen weggefallen. Ist auch die
Musik entsprechend gekürzt worden?
Eusebios Liebestod: Hier beruht der Text auf einem symbolistischen Sonett.
Das hat Mandel offenbar nicht kapiert. Man kann an Rossetti oder Swinburne
denken, die man allerdings kennen müßte, um das richtig zu übersetzen; in
jedem Fall zeitgenössisch zu Wagner. In diesem Sinn ist zu übersetzen.
Astern kommen in diesem Text nicht vor, sondern Asphodelen, das sind die
Blumen des Totenreiches. Armer Mandel, das kann er ja nicht wissen. Außerdem,
was Deutschland betrifft, die Lieb‡lingsblumen von Benn. Wenn Asphodelen
nicht gehen, dann eine andere Blume der Symbolisten, notfalls Heliotrop
oder sowas.
First chorus of wit‡nesses
: Ziemlich katastrophal. Ich gebe zu, diese Zeile
ist schwer
wiederzugeb‡en: "Mit uns fängt nichts mehr an und anzufangen ist
mit uns
nichts mehr." Das Wortspiel kann man nötigenfalls fallen lassen,
aber
der Sinn muß bleiben. Der Sinn aber ist nicht, oder nicht allein, daß
die
Zeugen alt sind, sondern daß man mit ihnen
nichts (zb‡ keine Revolution)
anfangen kann. Nur so ist die
Wendung aufs Publikum verständlich, denn
auch
mit diesem Publikum (das nicht "alt" zu sein braucht) ist in diesem Sinn
nichts
anzufangen.
Völlig sinnlos ist die Zeile "as if you and I never had Cuba in common".
Der Sinn ist: als wenn ihr (das Publikum) so viel anders wärt als wir
hier oben! Das Resultat: auch dieser Song ist völlig entschärft, das
Publikum wird nicht mehr, wie im Original, kritisch mit einbezogen.
Im Intermezzo zwischen 1. und 2. Tableau muß der Satz gestrichen werden:
"Revolutions are really quite a bore". Weil er eine unverschämte Hinzu-
fügung von Mandel ist. So dumm ist schließlich kein Cubaner.
Im Astern-Duett ist auch einiges schief, anderes gemildert, zum Beispiel
sucht man vergeblich nach dem Wort ficken.
Im Wohnwagen-Trinxxxx‡Lied hat sich der
Übersetzer die Arbeit ziemlich leicht
gemacht, indem er einfach auf alle
Reime verzichtet hat.
Von der Säge rede ich nicht, sie ist ja nach langem Hin und Her wieder
zurückerobert worden.
Im Chor der Zeugen nach der
Zirkusszene wieder nichts begriffen:
Und Sie meine Damen und Herren erst
recht nicht, bezieht sich natürlich
auf den vorangegangenen Satz: Dafür kann
doch die Künstlerin nichts.
Daraus macht Mandel: You in the audience are
less than we are,
was absolut sinnlos ist. Wie schon beim ersten Chor wird
der ironische
und K‡ritische Sinn des Textes zerstört. Man muß dem
Publikum sagen:
Rachel kann nichts dafür, und ihr natürlich auch nicht,
schließlich
habt ihr bezahlt, jetzt könnt ihr euch lustig machen, ihr bildet
euch
ein, das sei euer gutes Recht. Dies beantworten die Zeugen mit
einer
Art Drohung: Das letzte Wort ist noch nicht gesprochen, übe‡r Sie auch
nicht (zum Publikum): das heißt ja nur, die Revolution
wird euch eines
Tages vielleicht noch heimleuchten, so wie sie Rachel
heimgeleuchtet hat.
Mandel läßt das alles weg und schreibt Unsinn dafür
rein.
4. Tableau: von Maupin heißt natürlich nicht of Maupin sondern de Maupin
(Adelsprädikat). Sehr schlecht übersetzt ist:
Meine Geliebte, entdecke dich. Zeige diesen Menschen, wer du bist.
Das muß mit Aplomb und mit einer gewissen falschen Feierlichkeit kommen,
die im Englischen so wie es ist fehlt.
Im Dritten Ch‡or der Zeugen wieder direkte Fehlübersetzungen:
Deshalb wissen mirxxx‡ wir mehr als sie (als Rachel), weil es ihr gut ging
und uns schlecht. Dieser Kausalzusammenhang ist klar wie nur etwas,
aber er gefällt dem Übersetzer nicht und wird folglich gestrichen.
Der Parallelismus in der letzten Strophe ist ebenfalls völlig klar:
wenigstens einen Senator, wenigstens eine gute Tat. In der Übersetzung
ist er zerstört.
Auch in Rachels Illusion sind die von mir sehr sorgfältig
konstruierten
Parallelismen zwischen den einznexxxxxx‡
einzel[n]en[sic]‡ Strophen weitgehend zerstört,
dadurch auch die
Parallelen ideologischer Art zwischen "Liebe", "Musik"
und
"Kunst". Hier liegt wohl mehr Faulheit als böser Wille zugrunde.
Es ist chara‡kteristisch, daß die schledchtesten‡ Stellen immer die
Chöre
der Zeugen sind. Offenbar ist jede Artikulation von Kritik diesen
Leuten
so fremd, daß sie nicht e‡inmal mehr lesen können, was auf dem Papier
steht, vor lauter Angst,
sie könnten vielleicht mal kapieren was los ist.
So. Das ist nur das Gröbste. Ich habe eine
ziemliche Wu‡t auf diesen Über-
setzer.
Dagegen finde ich den Text intelligent gekürzt. Die Kürzungen stammen
sicherlich von dir und nicht von Mandel, sonst würde es noch ganz anders
aussehen!
La Cubana ist ein schöner Titel. Als Untertitel wünsche ich auf keinen
Fall "A cruel and obscene Vaudeville". Wenn überhaupt ein Untertitel,
dann einen der auf den Inhalt der Sache sich bezieht. Also zum
Beispiel: An artistic Vaudeville
e‡.
Verze‡ih daß ich so trocken bin, nur muß der Brief wenn er überhaupt
einen Sinn haben soll sofort in den Briefk‡asten. Also werde ich dir erst
beim nächsten Mal sagen können, wie fabelhaft ich es finde daß du dich
so gut schlägst in diesem Kleinkrieg um unser Stück.
Ich umarme dich Deinm.
einliegend noch ein Brief an Mr Griffith und ein Billett für Fausto *
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle; Joachim Veit
Überlieferung
-
Textzeuge: Paul Sacher Stiftung (CH-Bps)
Quellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- dickeres helles Papier
- Faltung: 2mal auf DinA6
- 3 Blätter
- 3 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 297x210 [mm] (HxB)
- anderthalbzeilig, kein Einzug, keine Leerzeilen auf Seite 1, ab Seite 2 Leerzeilen (einzeilig und anderthalbzeilig)
- Blatt 1 letzte Zeile verrutscht und schief
Material
Umfang
Layout
Schreibstile
-
1.Maschinenschrift.
-
2.Handschrift, Enzensberger, Hans Magnus, Füller (schwarz).
Textkonstitution
-
Folgend: handschriftlich, Füller (schwarz), Enzensberger, Hans Magnus
-
"… 11.12.72"Die Punkte stehen eher mittig zwischen den Zahlen als unten.
-
Folgend: Typoskript
-
"lieber"sic
-
"b""v" überschrieben mit "b"
-
"b""l" überschrieben mit "b"
-
"t""-" überschrieben mit "t"
-
"b""n" überschrieben mit "b"
-
"Trin"gelöscht durch Überschreibung
-
"e""r" überschrieben mit "e"
-
"h""i" überschrieben mit "h"
-
"mir"gelöscht durch Überschreibung
-
"einzne"gelöscht durch Überschreibung
-
"einzelnen"sic
-
"a""k" überschrieben mit "a"
-
"e""w" ersetzt durch "e"
-
"u""t" ersetzt durch "u"
-
"e""." überschrieben mit "e"
-
"e""i" ersetzt durch "e"
-
"k""a" ersetzt durch "k"
-
Folgend: handschriftlich, Füller (schwarz), Enzensberger, Hans Magnus
-
Folgend: Typoskript
Einzelstellenerläuterung
-
"Boradway"recte "Broadway".
-
"smagragden"recte "smaragden".
-
"zb"recte "z.B."
-
"K"recte "k".
-
"schledchtesten"recte "schlechtesten".
-
"… Billett für Fausto"Dieses "Billett" ist ein Brief an Fausto Moroni in englischer Sprache, in dem Enzensberger diesen bittet, ihm zwei Artikel aus Zeitschriften zu besorgen, die nur in der Public Library in New York erhalten sind. Dieser Brief ist gemeinsam mit Henzes Brief überliefert. Am 22. Dezember 1972 bedankt sich Enzensberger für die Kopien. – Enzensberger benötigte diese Artikel für sein Buch "Gespräche mit Marx und Engels" und hatte Fausto Moroni als Dank ein Exemplar dieses Buches versprochen. Dieser Band hat sich in der Henze-Bibliothek erhalten mit der handschriftlichen Widmung "per fausto chi mi ha aiutato di resuscitare quei due vecchi tremendi mang".