Brief von H. W. Henze an H. M. Enzensberger, 6. Juni 1972

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[Manuskript]

La Leprara
00047 Marino
(Roma)

6 Juni [1972] P. S. 1 Querido Mang,

noch etwas zu den Singstimmen (gestern vergessen)

bei der „Musik aus dem Haus“ im 2. tableau finden bekanntlich die reden des
fernrohrvermieters statt. ich habe da herumexperimentiert, um zu verhindern,
dass dieses leidige quatschen stattfindet, wo sich musik und rede gegenseitig auf-
heben. habe also den text des fernrohrvermieters rhythmisch fixiert, schliesslich
sogar die tonhöhe seiner sprechweise, sodass sowas wie die “Pierrot lunaire“
technik daraus geworden ist. ich glaube, die lösung geht gut, besonders zum
trauermarsch. – in der zirkus-szene, wo der fernrohrvermieter den stelzenläufer
macht, wollte ich die gleiche technik anwenden, hier als musikalische basis
eine gesummte, sotto voce musik der campesinos die auf den zirkus warten, dazu
primitive instrumente wie maultrommel und marimbula.

die “musik aus dem haus“ besteht aus 3 verschiedenen musiken, die sich überschneiden
und gegenseitig stören etc., eine davon ist übrigens, als hommage an den Kometen,
die Mondscheinsonate, was sehr komische assoziationen zu Yarini-Rachel gibt, ein
thema aus ihr erscheint auch im trauermarsch dann.

übrigens habe ich vor, bei den chansons etc. überhaupt keine schlaginstrumente
zu verwenden (nicht leicht, weil in lateinamerikanischer tanzmusik alles voll ist von


La Leprara
00047 Marino
(Roma)
P.S.2/ trommeln) aber ich wollte die schlaginstrumente reservieren für die massenrhythmen
(wobei das schlagzeug, soweit echte instrumente, off stage gespielt werden müsste)
habe übrigens zufällig einen javanischen „affentanz“ auf platten gefunden, der ein vorzügliches
material für diese massenrhythmen enthält, etwas hechelndes, hetzendes, aufreizendes.

noch etwas: hättest Du einen kürzungsvorschlag für das Tivoli-couplet?
es ist nicht gesagt, dass es sein muss, aber ich hatte in New York den eindruck
von länge, und meine musik fiel mir auf die nerven; es kann aber auch daran
liegen, das ich sie ein dutzend mal hören musste (bis ich Lee Venora fand)
(die sogar füsse wie mandeln hat übrigens)* und das Couplet nicht mehr zu
ertragen fand. das duett von der immergrünen zukunft ist prima. (idiotisch)

durch das weglassen der Percussion in den chansons (in aller musik ausser den
massenrhythmen) gebe ich der Rachel-Welt etwas morbides, es fehlt ihr was,
da stimmt was nicht. tu vois?

bin augenblicklich äusserst mit mir zufrieden. es fehlt nur die kommunikation
mit Dir. bin zu pleite für lange ferngespräche. Du wirst mir schreiben und
mich ermutigen. “Ay Rachel“ wird eine canonata! nein mit 2 n, also
cannonata. bin begeistert und unternehmungslustig, und hopeful.

Sei herzlichst umarmt und geküsst von Deinem hans

P.S. I love you

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle; Joachim Veit

Überlieferung in 2 Textzeugen

  • 1. Textzeuge: Deutsches Literaturarchiv Marbach (D-MB), A: Enzensberger, Hans Magnus
    Signatur: Briefe Hans Werner Henze

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • Briefpapier Henze: dünnes blaues Briefpapier mit Briefkopf La Leprara oben in jeder Seitenmitte
    • WZ: das stempelartige "- PINEDER – FIRENZE · ROMA", Stegabstände ca. 2,6-2,7cm
    • Faltung: zweimal gefaltet auf Dinlang
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 299x215 [mm] (HxB)
    • Layout

    • beschrieben im Querformat um 90° gedreht zum Briefkopf, gegen Uhrzeiger; S. 2 am rechten Außenrand von Henze mit selbem Stift gezählt als "2" mit \ darunter
    • Rand links: 4,5 cm, der Briefkopf steht frei
    • Das Datum ist links auf den Rand rausgerückt
    • Anführungszeichen: unten oben
  • 2. Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Hans Werner Henze, Abteilung: Korrespondenz

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • 2 Photokopien auf beigem Papier
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 290x210 [mm] (HxB)
    • Zustand

    • gelocht; davon noch eine weitere Kopie, die von dieser erstellt wurde, denn hier sieht man die Lochung
    • Layout

    • Die gelochte Kopie war einmal geknickt und außen auf dem 2. Blatt ist handschriftlich von HWH mit Bleistift notiert: „an | H. M. Enzensberger | (während der Entstehung
      des Fernsehfilms La Cubana)“
      . In dieser ersten, gelochten Kopie ist die rechte Seite mittig sehr schwach. Die zweite Kopie ist deshalb extra stark gestellt. Die zweite Kopie hat wegen der Aufschrift von Henze drei Blätter

Schreibstile

Textkonstitution

  • "zufällig"über der Zeile hinzugefügt

Einzelstellenerläuterung

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  • "das"recte "dass".
  • "… füsse wie mandeln hat übrigens)"Am Ende des ersten Dialogs in „La Cubana“ zitiert die alte Rachel eine Kritik, in der ihr Füsse wie Mandeln zugeschrieben werden.
  • [Rotation]Abschnitt, Text im Uhrzeigersinn gedreht (90°).
  • tu vois?
    • Verstehst du?
  • [Rotation]Abschnitt, Text im Uhrzeigersinn gedreht (90°).
  • canonata
    • Heilige
  • cannonata
    • Kanonade
  • [Rotation]Abschnitt, Text im Uhrzeigersinn gedreht (90°).
  • [Rotation]Abschnitt, Text im Uhrzeigersinn gedreht (90°).

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