Brief von H. W. Henze an P. Sacher, 27. November 1968
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- 1968-09-03: an Enzensberger
- 1968-10-14: von Sacher
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- 1969-01-04: an Enzensberger
- 1968-12-25: von Enzensberger
[Typoskript]
Herrn
Paul Sacher
Schönenberg
CH – 4133 Pratteln Bl.
Mein lieber Paul,
vielen Dank für Deinen Brief vom 1‡4. Oktober .‡ Zu Düggelins Anfrage
möchte ich Dir folgendes im Vertrauen sagen: Ich möchte in den
nächsten Jahren überhaupt nichts fürs Theater schreiben, sondern
meine Instrumentalmusik entwickeln und hieraus gelegentlich eine
neue Form von Theater, über die ich aber noch nichts weiß. Das
schließt aber nicht aus, daß es vielleicht möglich wäre, 1‡971‡ für
das Bass‡ler Theater einen ersten Versuch in dieser Richtung zu liefern.
Die andere Sache ist, daß mein politisches Engagement sich so ent-
wickelt hat, daß ich unmöglich von der öffentlichen Hand in der Bundes-
republik weiterhin Geld annehmen würde, also daß ich auf private Unter-
stützung angewiesen sein werde, und das ausschließlich. Ich habe also
zum Beispiel gerade abgelehnt, für die Münchener Olympiade 1972 Musik
zu komponieren, obwohl das mich aus meiner schuldenreichen Situation
befreit hätte.
Lieber noch, als für Düggelins Theater etwas zu schreiben, würde ich
mich auf Deine freundschaftliche und private Unterstützung verlassen
und Dir bis 1‡972 zwei neue Werke schreiben.
Ich hatte Dir schon im Juni/Juli in Winterthur gesagt, daß ich einen
abendfüllenden Liederzyklus für
Fischer- Dieskau[sic]‡
schreiben möchte
(vielleicht nur für Bariton, Flöte und einen Schlagzeuger, vielleicht
aber auch für mehrere Instrumente – es ist mir noch nicht ganz klar).
Und Du wolltest von mir ein Bratschenkonzert haben; daran habe ich
oft gedacht, weil mich der Solist, obwohl ich ihn nie gesehen oder
gehört habe, magisch anzieht.* Wenn Du mir für jedes dieser Werke
40.000‡ SFr. bezahlen würdest, eventuell sogar zum Teil vorschußmäßig,
dann könnte ich mit diesem Geld ratenweise bis 1‡972 den letzten mir
zur Zahlung übriggebliebenen Bankkredit zurückgeben, ohne dabei weder
ein menschliches, noch ein künstlerisches, noch ein moralisches
Schuldgefühl empfinden zu müssen. Und ich würde mich, weil Du ein
Freund bist, absolut frei fühlen können.
Bitte schreibe mir einige Zeilen darüber. Ich bin bis zum 9. Dezember
in Hamburg (untenstehende Anschrift)* und werde anschließend bis Ende
Januar in Marino sein. Bitte sage Düggelin, ich hätte mich sehr über
seine Aufmerksamkeit gefreut, aber ich könnte im Moment, was das
Theater betrifft, nicht in die Zukunft sehen. Wenn ich einen Vorschlag
hätte, würde ich auf ihn zukommen. Und dann bitte ich Dich noch, ihm
zu sagen, daß eine private deutsche Fernsehfirma, die Intertel, gerne
- 2 -
-2- Hernn[sic]‡ Paul Sacher
in Zusammenarbeit mit einem deutschsprachigen Opernhaus meinen
"Prinz von Homburg" ‡ produzieren würde. Die Frage an ihn wäre also,
ob er mit finanzieller U‡nterstützung dieser Firma die Möglichkeit
sieht, im Laufe der nächsten Spielzeit diese Oper zu inszenieren,
unter besonderen szenischen Voraussetzungen, die ich mit ihm disku-
tieren müßte. Die Idee, diese Inszenierung in einem deutschsprachigen
Theater außerhalb der Bundesrepublik zu machen, beruht darin, daß
wir eigentlich Frau Ruth Berghaus von der Berliner Staatsoper für die
Regie haben wollten, die von ihrer Regierung keine Erlaubnis bekommt,
in der Bundesrepublik selber zu arbeiten, wohl aber im Ausland.
Wenn Düggelin mit dem Regiegastspiel von Frau Berghaus einverstanden
wäre, ok., aber die Intertel wäre auch daran interessiert, nachdem
einmal der Gedanke gekommen war, mit Düggelin selbst als Regisseur die
Produktion zu machen. Wichtig wäre nur, daß er so sehr wie die Berghaus
bereit wäre, nicht den Kleist, sondern meine Vertonung des Kleist zur‡
Basis zu machen. Ein Wort über Düggelins Interesse von Deiner Seite
würde in diesem Augenblick genügen, um die Intertel in Verhandlung
mit ihm treten zu lassen.
In wenigen Wochen wird die Winte‡rthurer Aufnahme in Amerika heraus-
kommen. Ich bin sehr neugierig auf die Reaktion der Hörer und der
allmächtigen amerikanischen Schallplattenkritik. Aber ich bin ziemlich
sicher, daß die subtile "Einspielung" uns allen viel Lorbeer bringen
wird, so daß wir nicht umsonst gelitten haben werden.
Vor zwei Jahren um diese Zeit war ich bei Euch, und damals begann
meine künstlerische und menschliche Krise, die mich vor soviel neue
musikalische und menschliche Aufgaben gestellt hat.
Mit lieben Grüßen an Dich und Maja,
Euer
hans werner
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle
Überlieferung in 2 Textzeugen
-
1. Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Paul Sacher
Signatur: Korrespondenz Hans Werner HenzeQuellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- Briefpapier Henze, helles, dünnes Papier
- Faltung: 2mal quer auf Din lang
- 2 Blätter
- 2 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 0297x215 [mm] (HxB)
- gelocht
- einzeilig, kein Abstand nach Absatz, kein Einzug; Rand links: 2,4 cm
- Vor dem 3. Absatz eine halbe Leerzeile. Ebenso vor den beiden letzten Absätzen.
Material
Umfang
Zustand
Layout
-
2. Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Hans Werner Henze
Signatur: Korrespondenz Paul SacherQuellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- Durchschlagpapier
- 1 Blatt
- 2 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 295x210 [mm] (HxB)
- gelocht
- Der Brief ist auf das Durchschlagpapier getippt, auch die Nachschrift von Henze (Hamburger Adresse), nicht die Unterschrift
- Rand: 2,2 cm
Material
Umfang
Zustand
Layout
Schreibstile
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1.Maschinenschrift.
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2.Handschrift, Henze, Hans Werner, Kugelschreiber (blau).
Textkonstitution
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"… l 1 4. Oktober ."Leerzeichen vor Punkt
-
"s"durchgestrichen, handschriftlich, Kugelschreiber (blau), Henze, Hans Werner
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"Fischer- Dieskau"sic
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"Hernn"sic
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"… Opernhaus meinen Prinz von Homburg"doppeltes Leerzeichen
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"U""u" überschrieben mit "U"
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"r"in der Zeile hinzugefügt, handschriftlich, Kugelschreiber (blau), Henze, Hans Werner
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"e""h" überschrieben mit "e"
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Folgend: handschriftlich, Kugelschreiber (blau), Henze, Hans Werner
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Folgend: Typoskript
Einzelstellenerläuterung
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"l"angepasst zu "1".
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"l"angepasst zu "1".
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"l"angepasst zu "1".
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"l"angepasst zu "1".
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"l"angepasst zu "1".
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"… oder gehört habe, magisch anzieht."Dies ist die erste Erwähnung der "Compases". Wahrscheinlich hatten Sacher und Henze bei der Schallplattenaufnahme im Juli 1968 in Winterthur darüber gesprochen.
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"4o.ooo"angepasst zu "40.000".
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"l"angepasst zu "1".
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"… Dezember in Hamburg (untenstehende Anschrift)"Henze war zur Vorbereitung der Uraufführung seines Oratoriums "Das Floß der Medusa" am 9. Dezember 1968 in Hamburg.
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"… c/o Scovotti"Hierbei könnte es sich um die Sängerin Jeanette Scovotti handeln, die seit 1968 in Deutschland lebte und u. a. an der Hamburgischen Staatsoper auftrat.
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"l"angepasst zu "1".