Einführung zur Korrespondenz von Hans Werner Henze mit Friedrich Hitzer

Zur Korrespondenz zwischen Hans Werner Henze (1926–2012) und Friedrich Hitzer (1935–2007)

Grundangaben zur Korrespondenz

Die Korrespondenz zwischen Friedrich Hitzer und Hans Werner Henze umfasst nur 15 Dokumente, von denen 6 von Hitzer geschrieben sind und 9 (davon 2 Telegramme) von Henze, wobei einer der Briefe von Henzes Sekretär, Ulrich Jörg Bofinger, verfasst wurde. Es handelt sich um postalische Dokumente aus den Jahren 1969 bis 1975. Die Korrespondenzsprache ist deutsch und die Briefe sind sowohl im Hitzer-Nachlass der Monacensia (Stadtbibliothek München) als auch im Henze Nachlass der Paul-Sacher-Stiftung Basel überliefert. Es ist möglich, dass sich weitere Korrespondenzstücke und Notizen zu Henze im Verlagsarchiv des „kürbiskern“ im Deutschen Literaturarchiv Marbach befinden, doch konnte dies auf Grund des großen Umfangs des Verlagsarchivs im Rahmen der jetzigen Arbeit von „Henze digital“ nicht überprüft werden.

Schreibeigenheiten der Korrespondenzpartner

Hans Werner Henze schreibt bevorzugt seine Briefe handschriftlich, doch da es sich hierbei zum Teil um ‚offizielle‘ Post handelt, von denen er auch eine Kopie bei sich behalten wollte, sind ein Brief von Henze und das als Beilage überlieferte Dokument sowie der Brief von Henzes Sekretär mit der Maschine geschrieben. Die Briefe Hitzers sind bis auf einen maschinenschriftlich.

Gemeinsame Projekte/Werke, die ausführlicher Gegenstand der Korrespondenz sind

Allgemeine Charakterisierung des Briefwechsels

Es handelt sich bei diesem Briefwechsel um einen recht kleinen Bestand, bei dem es weniger um eine Zusammenarbeit an einem gemeinsamen künstlerischen Werk geht als um den Austausch und die Entwicklung von kulturpolitischen Positionen. Er ergänzt in seiner politischen Ausrichtung sehr gut die Briefwechsel mit Enzensberger bzw. Barnet. Da Hitzer Mitglied der DKP war, verfolgte er eindeutig vom Marxismus geprägte kommunistische Ideen, die auch seine Sprache prägten. Henze greift in seinen Antwortbriefen das kommunistische Vokabular stärker auf als in Briefen an andere Personen in dieser Zeit.

Charakterisierung der Beziehung

Der Kontakt zwischen Henze und Hitzer ging von letzterem aus, der sich nach einer kritischen Fernsehsendung mit Henze solidarisierte und politische Übereinstimmungen und gemeinsame Aktivitäten ausloten wollte. Henze nahm diesen Austausch an, da er 1969 sehr stark an der Bedeutung von Kultur (Theater, Literatur, Musik) für die Politik interessiert war. Henze sah sich in dieser Zeit als Lernender (vgl. hierzu auch den Briefwechsel mit Enzensberger in dieser Zeit) und griff deshalb dankbar alle Anregungen und Diskussionen auf. Die Zeitschrift „kürbiskern“, deren Haupt-Herausgeber Friedrich Hitzer war, kannte Henze bereits vor dem ersten Kontakt, so dass er dessen politische und kulturpolitische Einstellung, die dieser auch im ersten Brief ausführlich erläutert, mindestens interessant fand und wahrscheinlich im Wesentlichen teilte. Es kam zu einem persönlichen Kontakt, der auch zu gemeinsamen Aktivitäten führte, die allerdings 1975 bereits wieder endeten. Der Kontakt zu Friedrich Hitzer ist in Henzes Autobiographie nicht erwähnt.

Themen der Korrespondenz

Der Briefwechsel gliedert sich zeitlich in drei Einheiten (1969, 1971, 1975), die auch inhaltlich unterschiedliche Schwerpunkte haben. Allerdings greift Hitzer immer wieder auch aktuelle Themen und Ereignisse (Unterstützung der Bundestagswahl 1969, erster Banküberfall mit Geiselnahme 4. August 1971) auf, die er dann ausführlich schriftlich diskutiert, wohl wissend: „In einem Brief lassen sich diese Dinge natürlich nur antippen“ (Brief vom 5. August 1969).

1969: Imperialismus (Kapitalismus) und Kultur

Der Briefwechsel geht aus von der Sendung „Von der Avantgarde zur Revolution. Die neuerliche Wandlung des Komponisten Hans Werner Henze“ von Heinz-Josef Herbort, die am 29. Dezember 1968 um 22.35 Uhr im Ersten Programm des Fernsehens ausgestrahlt wurde. Hitzer fühlte sich inhaltlich mit Henzes dort gemachten Aussagen sehr verbunden und solidarisierte sich mit diesem angesichts der Tatsache „mit welcher Vehemenz man sie [recte: Sie] ‚fertig‘ machen will“ (Brief vom 12. Januar 1969). Als Gegner Henzes und auch seiner kulturpolitischen Ideen sieht er die bürgerlichen Medien bzw. den westdeutschen Imperialismus.

Henze antwortete am 20. Januar 1969:

„Ihr Brief hat mich sehr gefreut, zumal die Vehemenz des ‚Fertigmachens‘ ebenso erstaunlich ist wie Seltenheit von Solidaritätbezeugungen. Aber eines ist immerhin klar: Die Herren haben die Masken abgenommen, abnehmen müssen, und ich bin sehr zufrieden, dass nun keiner von ihnen mehr sagen kann ‚he is our boy‘ – seit Jahren habe ich mit allen möglichen Mitteln versucht, darauf hinzuweisen, dass ich es nicht bin, aber es ist nicht gelungen, weder in Wort noch in Musik, nun ging es plötzlich: durch Aktion. Sehr lehrreich.“

Henze spricht in dem Brief ferner an, dass er (gemeinsam mit anderen) an einem Buch über die Lage der Musik arbeite und erwähnt seine Überlegungen, sich selbst in den Prozess einzubringen: „Was mit meiner Musik nun wird, das weiss ich noch nicht so genau. D.h. wie ich sie am vernünftigsten in den Prozess integrieren kann, wie sie am Zerbrechen der Macht der europäischen Bourgeoisie mitarbeiten kann.“

Hieraus entwickelte sich der Plan Hitzers, Henze möge für das Dezemberheft 1969 des „kürbiskern“ diese Überlegungen in einem Aufsatz zusammenfassen. Henze nahm das Angebot an, musste dann aber am letztmöglichen Abgabetermin, dem 25. Oktober 1969, mit einem Telegramm absagen: „nach 14 tagen arbeit mein manvskript weggeschmissen“.

1971: Gemeinsame Aktivitäten zu Musik und Politik

Der nächste Briefwechsel ist ausgelöst durch die geplante Veröffentlichung eines Gesprächs zwischen Hans Werner Henze und der Münchner Songgruppe, das in Heft 3 (1971) des „kürbiskern“ erschien. Außerdem wurden gemeinsame Aktivitäten für ein Bildungstreffen der DKP anlässlich der großen Dürer-Ausstellung in Nürnberg geplant.

Schon bei dem Gespräch war Henzes „El Cimarrón“ der Ausgangspunkt, und im August 1971 hatte Hitzer Gelegenheit dieses Werk vollständig in München zu sehen und beschreibt – aus seinem politischen Blickwinkel – ausführlich seinen Eindruck und seine Einschätzung dieses Werks und der Aufführung.

1975: „Michel & Rosi“ & 10 Jahre „kürbiskern

Der Briefwechsel im Jahr 1975 geht von Henze aus, wobei der erste Brief sehr deutlich macht, dass es vorher ausführlicheren persönlichen Kontakt gegeben haben muss oder vorangehende Briefe verloren gegangen sind, denn Henze fragt nach einem Libretto, das ihm Friedrich Hitzer und dessen Mitherausgeber des „kürbiskern“ seit 1974, Klaus Konjetzky, unmittelbar anschließend zusandten. Leider behandelt die Korrespondenz diese Gemeinschaftskomposition von Henze und dem Kollektiv „COOPERATIVA MARZOCCO“ nicht ausführlicher, sondern wechselt auf das 10-jährige Jubiläum des „kürbiskern“. Eine kleine Unstimmigkeit zum Besuch der szenischen Uraufführung von „La Cubana“ in München klärt Henzes Sekretär, Ulrich Jörg Bofinger, und die Korrespondenz bricht ab mit der Mitteilung der Telefonnummern der Autoren, die den Text zu „Michel & Rosi“ offensichtlich zu Ende geführt haben.

Irmlind Capelle, im Dezember 2023

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