Letter (with Envelope) from G. Weil to H. W. Henze, March 18, 1974

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[Manuscript]

CH 6611 Contra/TI Grete Weil-Jockisch
18. 3. 74
Mein liebes Hänschen,*

der alte Ruppel hat gesprochen*, jetzt
wissen wir, dass die Inszenierung exzeptionell, die Bühnenbilder
hinreissend und die Lichtregie delikat war*. Und von unserem
übendem Stück ist nichts übrig geblieben*. Aber wenigstens ist
zu hoffen, dass die Leute auf diese Kritik hineinlaufen, und
das ist ja auch nicht ganz schlecht.

Ich habe in meinem Aufsatz für das Programmheft wieder
einmal Auden zitiert mit seinem Satz, dass ein Textbuch
ein Privatbrief des Librettisten an den Komponisten sei.* Aber
was heisst schon Privatbrief; während der Aufführung ist es mir
aufgegangen, dass es natürlich kein Privatbrief von mir
an dich war, sondern ein Liebesbrief, einer der innigsten,
die ich je geschrieben habe und ganz sicher der, bei dem am
meisten herausgekommen ist. Wir haben beide seit jeher
viel von der Trauer der Liebe (und der Verlogenheit der
Bürger) verstanden – unser Kind ist richtig und gut.


Während der ersten Proben, die ich sah, habe ich geglaubt,
dass es mich nicht mehr viel anginge, zum Schluss hat es
mich mehr bewegt, als ich dachte, dass mich noch etwas
bewegen kann.

Thanks and love
Butza

This is a reduced preview. For further information switch to the edition of the Envelope

[Envelope, Manuscript]



Signor H. W. Henze
Marino (Roma)
Italia


CH 6611 Contra/TI Grete Weil-Jockisch

Editorial

Tradition

  • Text Source: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Hans Werner Henze, Abteilung: Korrespondenz
    Shelf mark: Weil-Jockisch, Margarethe

    Physical Description

    • Document type: Letter
    • Material

    • graues Briefpapier Weil-Jockisch
    • Faltung: zweimal quer auf ca. Dinlang
    • Extent

    • 1 folio
    • 2 written pages
    • Dimensions: 270x181 [mm] (HxW)
    • Layout

    • zweiter Absatz ca. 3 cm eingerückt

Writing styles

Text Constitution

  • "… 18. 3. 74"Das Datum steht neben dem gedruckten Birefkopf.
  • "übendem"uncertain transcription

Commentary

  • "… Mein liebes Hänschen ,"Der Brief bezieht sich auf die Premiere der Boulevard Solitude am 16. März 1974 an der Staatsoper München. Die Regie führte Jean Pierre Ponnelle, vgl. Hans-Joachim Wagner, S. 295-297.
  • "… der alte Ruppel hat gesprochen"Am 18. März 1974 erschien in der Süddeutschen Zeitung auf Seite 8 eine Rezension der Aufführung von Karl Heinz Ruppel unter dem Titel “Kolportage, Manierismus, Ironie. H. W. Henzes ‘Boulevard Solitude’ im Münchner Nationaltheater”.
  • "… und die Lichtregie delikat war"Ruppel fasst nach der Beschreibung der Inszenierung und des Bühnenbildes (ebenfalls von Ponnelle) zusammen: “Eine Inszenierung von großartiger Konsequenz, die Exzentrizität von Henzes Partitur in einem szenischen Manierismus von einem Raffinement sondergleichen spiegelnd, das Makabre wie das Ridiküle bis in die kleinste Einzelheit aufs genaueste treffend, gleichermaßen faszinierend durch die geistige Konzeption wie durch die artistische Souveränität ihrer Realisierung. Und wie sind die Figuren dieses romantisch parfürmierten, traurigen Scherzos, dieses angesäuert-ironischen Kolportagespiels geführt!”
  • "… Stück ist nichts übrig geblieben"Henze schreibt in seiner Autobiographie, S. 407, rückblickend: “Mitte März [1974]: Jean-Pierre Ponnelles Inszenierung von Boulevard Solitude in München, meine Enttäuschung über die etabliert-gefällige Lesart – nichts ist geblieben von der damals von ihm miterlebten und geteilten lyrischen Immoralität, Aufsässigkeit und Künstlichkeit, die zu diesem Stück gehören wie das Atmen zum Menschsein.” Vgl. hierzu auch Henzes Reaktion im folgenden Brief.
  • "… Librettisten an den Komponisten sei."Auden hat diesen Gedanken in seinem Artikel “Some Reflections on Opera as a Medium” formuliert. Dieser Beitrag wurde im ersten Heft des Jahrgangs 1952 von Melos unter dem Titel Einige Gedanken über die Oper als Kunstgattung veröffentlicht. Vgl. zu dem Thema auch Barbara Engelbert, Wystan Hugh Auden (1907–1973). Seine opernästhetische Anschauung und seine Tätigkeit als Librettist, Regensburg 1983, bes. das Kapitel “Seine Auffassung von dem Wesen des Librettos”, S. 89–111. und Vera Viehöver, bes. S. 41f.

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