Brief von H. W. Henze an W. Jockisch, August 1949
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- 1949-06-29: an Jockisch
Folgend
- 1949-09-06: an Jockisch
- 1955-08-09: von Sacher
[Manuskript]
vielen dank für Deinen brief, der eben ankam. weil heinz
nun also morgen nach stuttgart fährt, gebe ich ihm
den antwortbrief mit. an wetzelsberger habe ich selbst
vorhin noch geschrieben.* für mich ist es nicht leicht,
die ganze lage zu betrachten ohne ressentiments‡
nach der einen oder der anderen seite. an die erfreulich-
keit und verständigkeit der menschen glaubend, hab ich
damals auch gewünscht, daß das alles in einem guten
vernünftigen gespräch geregelt wird. tatsächlich ist ein
attest abgeschickt gewesen, ausgestellt von dr. bahner,
dem oberarzt der heidelberger poliklinik. ich verstehe
schon Deine peinliche lage ganz richtig, dennoch dachte
ich, dass Du vielleicht doch helfen könntest, wenn der
heinz in eine so blöde lage gekommen ist, auch
wenn vertrag vertrag ist und auch, wenn er auf Deinen guten
rat nicht gehört hat. heute, nach einer schrecklichen
zeit des schuldbewußtseins und einer nun schon 14 tage
dem‡ alten katastrophe, die uns beiden sehr innig zu-
sammengeschlossen hat‡, nachdem ich entdecken durfte, daß
ich ohne ihn nicht leben kann, käme es nicht mehr
vor, daß er auf einen guten rat wie Deinen, von
mir unterstützten, nicht hören würde. aber nun ist
es eben passiert. er ist sehr traurig und das ganze
finde ich verhext, vertrackt, schlecht gelagert, aufgebauscht.
– er hat nun also diesen minuskus‡, heut nachmittag
soll ihm ein neues attest geschrieben werden. er hat
noch nicht mit dem Deutschen theater verhandelt. – ich
finde prinzipiell, daß man aus jeder sache eine grand
affair machen kann oder aber eine bagatelle. wenn Du
uns beiden helfen willst, dann rate doch wetzelsberger,
seinen vertrag zu lösen. er kann ja doch vorläufig
nicht arbeiten. ganz abgesehen davon‡, daß die trennung mir
und ihm ein großer schmerz sein würde und er
dort nicht und ich hier nicht glücklich und arbeits-
freudig sein könnten, wäre es für seine karriere
günstig, bei marcel zu arbeiten.* wieso hat der die
sache noch verschlimmert?
also, gelt, hilf ihm raus aus der patsche. er büßt
sehr intensiv. denke an das kluge jüdische sprich-
wort, daß man für alles im leben zahlen muß, für
das gute und das schlechte. herr peter muß auch
eines tages zahlen, und der heinz tut’s schon, und
jeder wird es irgendwie tun müssen. vielleicht bin
ich zu blöd um zu sehen, was recht ist und
was unrecht. ich denke, man könnte durchaus
mit freundlichkeit, etwas verzeihung und menschlichkeit
einen vertrag lösen und einem jungen menschen das
leben nicht zur hölle machen. was wollt ihr dort mit
einem blassen, verbissenen, traurigen, flügellahmen tänzerli,
der ebensogut, bestünde nicht ein papier, das ihn
zwingt, ein fröhlicher lebendiger zukunftsfreudiger junge
sein könnte?
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle
Überlieferung
-
Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
Signatur: GW 31Quellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- beiges Papier
- Faltung: 2mal auf DinA6
- 1 Blatt
- 2 beschriebene Seiten
- Abmessungen: 296x210 [mm] (HxB)
- Rand: 4 cm
Material
Umfang
Layout
Schreibstile
-
1.Handschrift, Henze, Hans Werner, Füller (blau).
Textkonstitution
-
"e""t" überschrieben mit "e"
-
"dem"durchgestrichen
-
"… sehr innig zu sammengeschlossen hat"Bei dem letzten Buchstaben sind Korrekturspuren (Sofortkorrektur), die nicht mehr nachzuvollziehen sind.
-
"davon"über der Zeile hinzugefügt
Einzelstellenerläuterung
-
"… August 1949"Da hier noch von der Vertragserfüllung von Heinz Poll in Stuttgart die Rede ist, muss dieser Brief aus dem August 1949 stammen; vgl. den Brief vom 6. September 1949.
-
"… ich selbst vorhin noch geschrieben."Vgl. zu diesem Brief den folgenden von Henze.
-
"resentissem t e nts"angepasst zu "ressentiments".
-
"minuskus"recte "Meniskus".
-
grandaffair
- große Affaire
-
"… günstig, bei marcel zu arbeiten."Wie aus den weiteren Briefen aus Konstanz hervorgeht, arbeitete Marcel Luipart ebenfalls in Konstanz.