Brief von H. W. Henze an W. Jockisch, Oktober 1949
Einstellungen
Zeige Markierungen im Text
Kontext
Absolute Chronologie
Vorausgehend
- 1949-09-06: an Jockisch
Folgend
- 1949-10-01: an Jockisch
- 1955-08-09: von Sacher
[Manuskript]
herzlichen dank für Deinen tröstlichen zuspruch.* dass
hamburg was wunderbares ist, habe ich ja auch
mal erfahren* – konstanz jedenfalls ist furchtbar.
jetzt hab ich zum dritten mal die wohnung ge-
wechselt und bin ganz friedlich und arbeite an
dem
„georges dandin“ ballett. die finanzielle not
hat es erforderlich gemacht, dass wir samstag einen
ballettabend mit klavierbegleitung herausbringen müssen.
marcel ist unglücklich, aber arbeitet wie ein pferd.
mit h. geht es ganz gut zur zeit, das macht
wohl die arbeit, vielleicht auch weil er gesehen
hat was er angerichtet, als ich plötzlich nicht
mehr weiter konnte. – nichtsdestoweniger interessiert
mich the city of
Essen sehr, durch eine nach dem
brief an Dich stattgefunden habende schlafwagen-bekannt-
schaft, dort schauspieler, noch mehr‡ einzelheiten Dir
zu sagen, wäre papierverschwendung, die andere seite ist
jedenfalls ein tänzer dort namens noak, den ich schon
kenne, der mich aber aus irgendwelchen gründen neulich
nicht so behandelte wie es dem bisherigen stand der
dinge nach zu
erwarten gewesen wäre. die menschlichen
seiten kenne ich nicht so genau. nur bitte, hilf mir
verhüten, dass h. davon erfährt. es ist auch
nur aus einem grunde nötig: ich brauche diese
„siege“ um mein herz davor zu bewahren, sich in
der gefahr der einsamkeit auch nur zu wähnen.
schau Dir doch mal
„wie es Euch gefällt“
an, das
ist das stück, wodurch ich hilpert mag. der probstein
ist so zauberhaft!* am 5. komm ich auch zu meiner
sinfonie.* hast Du das champ[sic]‡-elysée ballett gesehen?
und nun „wundertheater“ in wiesbaden?*
herzliche grüsse, lieber, und tausend dank für Deinen brief!
grüsse auch die liebe und gute grete!
Dein hänschen
Schlubach benimmt sich grauenhaft, ich hasse diese typen sehr.
demnächst muss ich ihn wohl verprügeln. es ist ein crétin.
marcel hält sich trotz der unbequemen geldlage anständig, ich
erfreue mich seiner geistigen hörigkeit – er scheint zu spüren,
dass er diese arbeit machen muss und dass es seine grosse
chance ist. übrigens tanzt er so unwahrscheinlich schön, man
wird ganz verrückt davon. choreographisch sind einige dinge sehr, sehr
zauberhaft, nun, Du wirst’s ja hoffentlich bald mal sehen. D. O.‡
Apparat
Verantwortlichkeiten
- Herausgegeben von
- Irmlind Capelle
- Übertragung
- Irmlind Capelle
Überlieferung
-
Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
Signatur: GW 31Quellenbeschreibung
- Dokumenttyp: Brief
- beiges Papier
- Faltung: 2mal auf DinA6
- 1 Blatt
- 1 beschriebene Seite
- Abmessungen: 294x208 [mm] (HxB)
- Rand: 5 cm; minimaler Einzug bei Absätzen.
Material
Umfang
Layout
Schreibstile
-
1.Handschrift, Henze, Hans Werner, Füller (blau).
Textkonstitution
-
"… schaft, dort schauspieler, noch mehr"Nach dem „mehr“ steht ein Punkt, der jedoch inhaltlich keinen Sinn macht und deshalb getilgt wurde.
-
"champ"sic
Einzelstellenerläuterung
-
"… Ende Oktober 1949"Da Henze vom 3. Umzug in Konstanz spricht und seiner Arbeit an „George Dandin“, andererseits aber den Brief von Anfang Oktober und die dort erwähnten Aufführungen als vergangen anspricht, muss der Brief von Ende Oktober 1949 sein.
-
"… dank für Deinen tröstlichen zuspruch."Offensichtlich hatte Walter Jockisch auf den vorangehenden Brief an Henze geschrieben.
-
"… ich ja auch mal erfahren"Hier dürfte Henze auf seinen Hamburg-Besuch im Spätherbst 1948 anspielen; vgl. Autobiographie, S. 101f und Geitel, S. 28f.
-
"… der probstein ist so zauberhaft!"Nach einem Theaterzettel ist als Untertitel zu diesem Lustspiel von Shakespeare angegeben: „Lustspiel in fünf Akten (16 Bildern) von William Shakespeare. Musik von Wolfgang Amadeus Mozart. Nach der Schlegelschen Uebersetzung für das Deutsche Theater eingerichtet und inszeniert von Heinz Hilpert; vgl. hierzu die Beschreibung von Henze in der Autobiographie S. 104.“
-
"… ich auch zu meiner sinfonie."Hier ist nicht eindeutig, welches Datum und Ereignis Henze meint. Die Uraufführung seiner 2. Sinfonie, die er auch im folgenden Brief anspricht, fand am 1. Dezember 1949 in Stuttgart statt. Möglicherweise wurde diese aber (mehrfach?) verschoben, denn in einer Anzeige der Konzerte des Sinfonie-Orchesters des Süddeutschen Rundfunks wurde die Uraufführung für den 9. Dezember 1949 angekündigt (vgl. „Melos“ 1949, S. 287; vgl. hierzu die Autobiographie, S. 105.
-
"… nun wundertheater in wiesbaden ?"Im Rahmen der „Deutsch-Französischen Kulturtage“ in Wiesbaden trat das „Ballet des Champs Elysées“ auf und wurde Henzes „Wundertheater“ an einem Abend gemeinsam mit Strawinskys „Geschichte vom Soldaten“ (9. November 1949) gegeben; vgl. den Bericht von diesen Tagen in: „Melos“ 1949, S. 342–344.
-
[Rotation]Abschnitt am linken Rand stehend, Text im Uhrzeigersinn gedreht (270°).
-
[Rotation]Abschnitt am oberen Rand stehend, Text im Uhrzeigersinn gedreht (180°).
-
"D. O."Abk. von "Der Obige".