Brief von H. W. Henze an W. Jockisch, 20. Juni 1949

Zurück

Einstellungen

Zeige Markierungen im Text

Absolute Chronologie

Vorausgehend

Folgend


Korrespondenzstelle

Vorausgehend

Folgend

[Manuskript]


Lieber dr. jo!

vielen dank für Ihre zeilen! was Sie über
hilpert sagen, stimmt genau. er ist sehr gesund
und ist ein anti-formalist. aber dafür ist
er auch sehr aufgeschlossen für jüngere stre-
bungen und gibt diesen raum. ich werde
einige hübsche dinge zu tun kriegen. die
atmosphäre an dem theater ist wunderschön,
und es hat dort einige sehr nette boys
and girls
. ich fühle mich wohl dort und
freue mich schon sehr. ausserdem geniesse ich
das gefühl der sicherheit: ein monatsgehalt
zu haben, d. h. zu wissen, wovon man morgen
leben wird, das ist grossartig, das kannte ich
noch gar nicht.

hier ist das musikfestival*, sehr reprä-
sentativ. gestern hörten wir „sacre“ , von schmitt-
isserstedt
dirigiert, sehr gut. aber alte sache.*
lilo und ich wohnen in buchschlag bei amerikanern.
das ist gut, so sehen wir alles nur von ferne.
das beste was es geben wird, wird das konzert
mit werken schönberg’s sein.* ich pflege mich, als
ob ich nächsten sonntag (wo ich mein „apollo
et hyazinthus
“ dirigiere) einen grossen drahtseil-
akt vor mir hätte.* die menschen sehen alle recht
blöd aus. nett sind michael tippet[sic] und henri
saughet
, letzterer ein ganz junges knäblein von
der gruppe „jeune france“, er flammte mich
gestern abend an. donnerstag abend um 1205 uhr
tut münchen zwei werke von mir performieren,
die ich Sie Beide anzuhören bitte.


2/
es ist wunderbar von Ihnen, heinz und mir
das etablissement zur verfügung zu stellen.
wie machen wir es nun? am 12. und 13. juli
muss ich noch nach köln, wo mein ballett ge-
macht wird im funk, da muss ich zugegen sein.*
so würden wir also erst am 15. in egern
sein können. dann sind Sie weg. bitte, sagen
Sie irgendwas, wie wir reinkommen. können Sie
den schlüssel beim hausmeister oder beim nach-
barn abgeben?

tietjen tut sich für das „wundertheater“ interessieren*,
und ein italienisches theatro, ich hab’s schon ver-
gessen, es ist ja auch nicht so interessant.
tatsächlich, sobald ich hier fertig bin, gehe ich
weg und in mich und fahre mit Ihm zum
tegernsee. ach, lieber Dr. jo, ich finde es
sehr, sehr lieb von Ihnen, [Pfeil]*

tun wir uns also im august in Konstanz wiedersehen?

die sonne scheint. buchschlag ist ein schöner
flecken. würden Sie an meiner stelle jetzt
aufbrechen und in die stadt fahren zu einer
pressekonferenz, wo herr puetter, herr brust,
herr pringsheim und noch andere hanswursten
herumspringen? Sie ahnen ja nicht, wie’s mir
zum hals raushangt. ich bin so froh, ganz
weit fort von allem rummel eine schöne
aera der friedlichen arbeit vor mir zu haben,
nur selten werden sich an den wänden des
säntis die echos fangen der geschütze der anti-
zwölftöner und anderer gegner und neider, und
es wird mir ausserordentlich egal sein.

schubert-musik in „viel lärm um nichts“ ist
entsetzlich.* aber diese dinge hören ja nun auf. ich
habe dort eine autorität, denken Sie.

bittschön, lassen Sie uns glücklichen noch wissen, wo der schlüssel zu finden
sein wird und ähnliche verhaltungsmassregel. dass wir dezent und artig sein
werden, gebe ich Euch hiermit schriftlich. und gute zeit und auch gute dollars
beim filmen! aber jetzt momentan vor allem ruhe und frieden. und viele grüsse
an Ihre liebe frau.      

Ich bin immer Euer beider HÄNSchen .

Übersetzung von

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Signatur: GW 31

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • dünnes Durchschlagpapier
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 229x209 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Rand links: 4,5 cm, Absätze erste Zeile 2,5 cm eingerückt
    • Anführungszeichen unten oben

Schreibstile

Textkonstitution

  • "tippet"sic
  • "… 2/"Die Seitenzahl steht mittig auf dem linken Rand.

Einzelstellenerläuterung

  • "… hier ist das musikfestival"Die „4. Internationalen Ferienkurse für neue Musik“ fanden vom 19. Juni bis 10. Juli 1949 in Frankfurt und Darmstadt statt und starteten mit eine „Woche für Neue Musik“; vgl. Im Zenit der Moderne Bd. 3, S. 533–539.
  • "… sehr gut. aber alte sache."Das erste Symphonie-Konzert fand am Sonntagabend, dem 19. Juni 1949, um 17.30 Uhr statt; vgl. Im Zenit der Moderne Bd. 3, S. 534.
  • "… konzert mit werken schönberg's sein."Am 26. Juni fand um 17.30 Uhr das Symphonie-Konzert IV ausschließlich mit Werken Arnold Schönbergs statt, vgl. Im Zenit der Moderne Bd. 3, S. 536.
  • "… drahtseil akt vor mir hätte."Henze dirigierte am 26. Juni 1949 in der Kammermusik IV die Uraufführung von „Apollo et Hyacinthus“; vgl. Im Zenit der Moderne Bd. 3, S. 536.
  • "… da muss ich zugegen sein."Es könnte sich hierbei um die Funkaufnahmen der „Ballett-Variationen“ handeln, die am 28. September 1949 mit dem Kölner Rundfunksinfonieorchester ihre konzertante Uraufführung in Düsseldorf erlebten.
  • "… sich für das wundertheater interessieren"Die Erstaufführung des „Wundertheater“ an der Städtischen Oper Berlin fand am 11. Januar 1950 statt.
  • "… sehr lieb von Ihnen, [Pfeil]"Mit einem Pfeil nach oben in die erste Zeile verweist Henze hier auf die Stelle "heinz und mir ..."
  • "… lärm um nichts ist entsetzlich."Henze bezieht sich hier auf die Inszenierung von Hilpert, mit der das Deutsche Theater Konstanz auch in Berlin gastierte. In dem Druck der Hilpertschen Fassung (Berlin-Halensee ca. 1960) ist ausdrücklich vermerkt: „Der Text des Balthasar-Liedes, sowie die Auswahl der Schubertschen Zwischenakte und Begleitmusik stammt ebenfalls von Heinz Hilpert“.

        XML

        Dank

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

        Wenn Ihnen auf dieser Seite ein Fehler oder eine Ungenauigkeit aufgefallen ist,
        so bitten wir um eine kurze Nachricht an henze-digital [@] zenmem.de.