Brief von H. W. Henze an W. Jockisch, 7. Juni 1949

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[Manuskript]


lieber dr. jockisch!

infolge der sturheit von herrn peter, der
wohl ohne übertreibung zu einem der wider-
wärtigsten menschen überhaupt gezählt werden
kann, gelangte ich nicht mehr in Ihre
nähe, nachdem ich mit keuchender lunge
wieder ins theater kam, um mit Ihnen
zu sprechen.* die pause war schon vorbei,
weil lilo und ich nagel nicht sofort
fanden. gottlob hatte letzterer genug geld
bei sich, sodaß es „ging.“ herzlichen
dank noch für das freundliche anerbieten.
würden Sie mir wohl schreiben, wie es
jetzt mit dem tegernsee-haus steht? es
wäre, genau genommen, die zeit vom 10. juli
bis die ersten augusttage
, oder aber etwas
länger. ich weiss das ende noch nicht genau,
weil meine englandreise noch fraglich ist.
es wäre aber wirklich ganz großartig, wenn
heinz und ich dort wohnen könnten.

hier ist es ganz nett, die gegend und auch
der betrieb, sehr familiär. meine sache
heißt „der elfenbeinturm“ (no time for
comedy
)
* hilpert sagte, wenn er mich sähe,
höre er die musik schon, ich sei der richtige
und solle auch künftig. er ist ein sehr
lebensvoller mann, vital, vital. ich grüßte
ihn von Ihnen, er läßt wieder grüßen. von
der sache mit serrault * sagte er, ihn inter-
essiere nichts als nur seine truppe. ich konnte


gar nicht zu ende kommen. nun, es wird sich
hier ja weisen. ich kann jetzt, nachdem ich
zwei szenen aus der langweiligen „barbara
blomberg“
gesehen, noch gar nichts sagen.* aber
irgendwie gefällt es mir, der geist des ganzen.
hatte ich doch nie geglaubt, daß ein intendant
so viel zeit haben kann und sich z. b. abends
mit seinen schäfchen hinsetzen und sich mit ihnen
unterhalten. er hat interessante pläne mit ballett--
komödien und schauspieler-opern. ich habe soviel
zeit, um noch an meiner sinfonie weiterarbeiten
zu können.

viele herzliche grüße an Ihre frau. erholen
Sie sich gut und sammeln Sie kräfte, z. b.
auch dafür – bitte!!! – daß das ballett besser
wird, bzw. daß heinz fortschritte machen kann.
wenn england nicht klappt – fast wünsche ich
es – komme ich im august hier her, das soll
ich auch wegen hilpert, irgendwas gibt es da
wieder zu tun. und wenn ich ja sage zu seinem
angebot, hier ständig zu arbeiten, müßte ich
dann sowieso schon hier sein.* ich habe große
angst, mich irgendwo zu binden, vielleicht aber
wäre es eine aufgabe. vielleicht. ich würde gern
mit Ihnen darüber sprechen.

herzlichst
Ihr hänschen

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Signatur: GW 31

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • helles, dickeres Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Umfang

    • 1 Blatt
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 298x210 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Rand: 5,5 cm; Absätze nicht eingerückt
    • Anführungszeichen unten - oben

Schreibstile

    Einzelstellenerläuterung

    • "… um mit Ihnen zu sprechen."Hierbei dürfte Henze einen Besuch von Jockischs Neuinszenierung vom Vogelhändler am 5. Juni 1949 in Stuttgart ansprechen.
    • "… no time for comedy )"Ob Henze zu diesem Stück eine Bühnenmusik schrieb oder welche andere Aufgabe er hier übernahm, ist nicht bekannt.
    • "… von der sache mit serrault"Vielleicht spielt Henze hier auf die Deutschland-Tournee von Jean-Marie Serreau mit George Dandin von Molière an (vgl. die Nachlass-Übersicht in der Association de la Régie Théâtrale). Henze schrieb zu diesem Stück in den folgenden Monaten Ballett(?)-Musik, doch fand die Aufführung nicht statt; vgl. Autobiographie S. 119.
    • "… gesehen, noch gar nichts sagen."Vgl. zur Uraufführung von Carl Zuckmayers Schauspiel Das Deutsche Theater in Konstanz 1948–1950Sabine Abele in: Schriften des Vereins für Geschichte des Bodensees und seiner Umgebung, 105 (1987), S. 151–189. Die Uraufführung wurde auch ausführlich in Theater der Zeit Juli 1949, S. 36f. besprochen.
    • "… dann sowieso schon hier sein."Vgl. zu diesen Überlegungen den Brief vom 20. Juni 1949.

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