Letter card (with Envelope and Enclosure) from H. W. Henze to P. Sacher, December 16, 1967

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[Manuscript]


[Figure: ]

Mein lieber Pablo, und liebste ferne Maja mit der Violoncello-Stimme auf der
C-Saite –

tjä, es ist traurig, höchst traurig, dass ich nicht in Zürich sein kann Anfang
July * – besonders für mich ist es traurig: hüte ich doch diese DGG-Produktionen
meiner Werke wie einen Augapfel.* Trost: Ich höre oft (zwangsläufig, weil
meine amici es immer wieder hören wollen) das Band des Doppio concerto, und
das war damals die Uraufführung, seitdem habt Ihr es ja schon wieder gespielt und
geübt*, und bei einer recording ist so viel Zeit für Details, sind so viele Mög-
lichkeiten, die Nebenstimmen hörbar werden zu lassen, die tiefen Lagen einzufangen:
da hab ich gar keine Sorgen.** die Celli müssten es wohl etwas
üben ......
Bei der Sonata per archi schon eher, weil
ich sie seit Jahren nicht mehr gehört habe. Hier kann ich Dich nur bitten,
im ersten Satz, was die Akkorde betrifft, die Sekund und Sept-Spannungen hervor-
zuheben (die Terzen und ihre Verwandten kommen infolge Obertöne eh in Vorsprung, was
man bremsen und schattieren kann) auch hier bitte ich Dich, stark analysierend vor-
zugehen, die Motiv-Zusammenhänge hervorzuheben. Nicht barock spielend und nicht romantisch,


wie der erste Satz es leicht anbietet, sondern neurotisch. Jm 2. Satz besteht die
Gefahr, wie ich erinnere, des Zerfallens: Hier könnte abgeholfen werden durch den Trick,
nicht Variation für Variation zu sehen, sondern Linien, die sich unablässig fortsetzen,
vom Thema bis zum Schluss wie ein einziger Gesang in vielfältigen Brechungen.
My dear! The rest is all yours, and J bet you do marvellously without me:
J trust you so completely, as my friend and as a connoisseur of my music,
and as an excellent musician with taste and phantasy: so be happy and don’t
mind by absence. Be happy. Fantasia is alright with the collegium casting, if
the worst comes to the worse, or the worse to the worst, couldn’t you add what is
missing, for the occasion? But that is not necessary in the absolute sense.
Du wirst die
Tonmeister der DGG * übrigens ganz hochmusikalisch finden), ein bisschen enervierend mit ihrem Ge-
nauigkeitsfimmel, aber sie tun’s der Kunst zuliebe. In Fantasia wäre ein puristischer Klang an-
gebracht, wie Renaissancemusik. Nicht schwelgend. Linear – gambenhaft.

Soweit davon. Es naht mit Brausen X Mas und das neue Jahr. Wünsche Euch schöne
Festtage, und ein 1968 mit viel Freude und Gesundheit, guter Arbeit, und uns allen, dass
in Vietnam Friede wird*, und in Griechenland die Faschisten rausfliegen*. Damit wir weiter in
Ruhe arbeiten können, auf unsere Weise den Menschen weiterhelfend.

Comme je vous adore, tous les deux, comme fou, je vous embrasse avec une certaine violence.
hans


[Figure: ]
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[Envelope, Manuscript]

via aerea


Svizzera


Dr. Paul Sacher
Schönenberg
CH – 4133 Pratteln (Basel)


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[Manuscript]

La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)
Pablito caro,

hab noch was vergessen: kürzlich wurde in Chikago[sic] mein
Kontrabass-Konzert uraufgeführt, mit grossem Erfolg. Es
setzt die Linie des Doppelkonzertes fort, hat Kammerorchester
mit etlichen Bläsern. Why don’t you perform it?
Es ist allerdings in Exclusivity bei Mr. Gary Karr
718 Miami Pass, Madison (Wisconsin) 53711 –
er ist wohl allerdings im Augenblick noch der einzige, der
es spielen kann. Es ist das erste seriöse Musikstück


für dieses Instrument seit Haydn .... und der
Kontrabass macht ja so enorme Fortschritte augen-
blicklich, erwacht aus dem Dornröschenschlaf, knirschend
und piepsend. Nie wissend, wo die Flageolets sind.
Wie ein Jüngling der nicht weiss wo hinein etc.
Aber es herrscht da viel Zukunft und Aufklärung, und
ist ein schön[sic] Werk.

Herzlichst
hans

Editorial

General Remark

Von dem Text des Briefes, der die Erläuterungen Henzes zur Interpretation der aufzunehmenden Werke enthält und der von Sacher mit Bleistift markiert wurde, existiert in der Korrespondenz eine maschinenschriftliche Abschrift in zwei Kopien.

Responsibilities

Editor(s)
Irmlind Capelle
Transcription
Irmlind Capelle

Tradition

  • Text Source: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Paul Sacher
    Shelf mark: Korrespondenz Hans Werner Henze

    Physical Description

    • Document type: Letter card
    • Material

    • Kunstkarte
    • Extent

    • 2 folios
    • 2 written pages
    • Dimensions: 150x198 [mm] (HxW)
    • Condition

    • am Rand Spuren der Lochung (2mm), aber keine vollständigen Löcher
    • Layout

    • beide Innenseiten eng beschrieben, Bl 1v linker Rand: 1,8 cm , 2r Rand links: 1,5 cm

Writing styles

Text Constitution

  • "… Werke wie einen Augapfel. Trost:"Über dem folgenden Wort ist ein Haken in Bleistift notiert, vgl. hierzu die Generalanmerkung.
  • "* die Celli … etwas üben ......"added in the left margin, Text turned clockwise (90°)
  • ")"crossed out
  • "… Nicht schwelgend. Linear – gambenhaft."Hier ist kein Bleistiftzeichen zum Abschluss des abzuschreibenden Textes; vgl. die Generalanmerkung.

Commentary

  • [Figure Description]historischer Stich von Rom über Vorder- und Rückseite hinweg.
  • "… Zürich sein kann Anfang July"Henze nahm letztendlich doch an der Aufnahme teil, vgl. die folgenden Briefe.
  • "… meiner Werke wie einen Augapfel."Von Henze waren zu diesem Zeitpunkt folgende Einspielungen bei der DGG erschienen: November 1958: Fünf Neapolitanische Lieder (LPM 18046); 1964: Szenen aus “Elegie für junge Liebende” (SCPM 138 876) und 1966: 5 Sinfonien (139 203/204). Aufgenommen aber noch nicht veröffentlicht war die Aufnahme der “3 Kantaten” (139 373), die 1968 erschien.
  • amici
    • Freunde
  • "… schon wieder gespielt und geübt"Hier verwechselt Henze die Zeiten: Die Aufführung des Doppelkonzertes mit dem Ehepaar Holliger in Basel fand erst am 22./23. Februar 1968 statt, damit allerdings vor der Aufnahme mit der DGG. Eine weitere Aufführung des Konzertes mit dem Collegium Musicum Zürich ist bislang nicht belegt.
  • "… wirst die Tonmeister der DGG"Aufnahmeleiter dieser Aufnahme war Horst Weber.
  • "… dass in Vietnam Friede wird"Henze war bei seinem Aufenthalt in Amerika im Sommer 1967 auf den Vietnamkrieg (und die “schwarzen Aufstände”; vgl. Autobiographie, S. 281) aufmerksam geworden und wurde dadurch deutlich politisiert. Im Februar 1968 nahm er an dem großen Vietnamkongress in Berlin teil (vgl. Autobiographie, S. 286ff.). Vgl. hierzu auch den Briefwechsel mit Hans Magnus Enzensberger.
  • "… in Griechenland die Faschisten rausfliegen"Mit einem Putsch hatten am 21. April 1967 in Griechenland rechtsextreme Offiziere unter Georgios Papadopulos die Macht übernommen und eine Militärdiktatur errichtet.
  • Comme je vous adore, tous les deux, comme fou, je vous embrasse avec une certaine violence.
    • Wie ich Euch anbete, alle beide, wie verrückt, umarme Euch mit einer gewissen Heftigkeit.
  • [Figure Description]2. Teil des Stichs von Rom.

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        Credits

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

        If you've spotted some error or inaccuracy please do not hesitate to inform us via henze-digital [@] zenmem.de.