Brief von H. W. Henze an P. Sacher, 12. Januar 1967

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[Manuskript]

La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)
Mein lieber Paul,

vielen Dank für Deinen lieben Brief vom 27. und für die Übersendung
des Tonbandes*. Letzteres habe ich nun schon mehrfach abgespielt und habe
mich so ungeheuer gefreut dass es ein gelunges Stück genannt werden
darf, so gelungen dass ich das Gefühl habe es ist gar nicht mehr
von mir. Ich hoffe, dass hier Wege für meine Musik liegen: Zum
Absoluten hin, und das auf dem Wege über einen selbst, „über die
eigene Leiche“

habe mich nun schon richtig auf der “Leprara“ eingewöhnt, aber ganz fassen
kann ich noch immer nicht, dass dies alles nun mir gehören soll. Es
ist eine grosse Freude, auch die Verantwortung die dabei ist, ist eine
grosse Freude. Heute kam auch ein Steinway!! (natürlich nur ein ganz
kleiner – )

   ja mein lieber Paul, Deine Frage*: “wirst Du wohl immer ein vielfach
verstrickter, aber einsamer Mensch bleiben?“ kann ich einstweilen nur so be-
antworten: dass sie mit unvergleichlicher Präzision den Finger auf die
schmerzhafte Stelle legt. Natürlich rührte mich die Frage auch sehr, denn
es geht aus ihr hervor, dass Du darüber nachgedacht hast. Eines weiss
ich ziemlich genau: Die Stricke der Verstrickungen werde ich im Laufe
der Zeit einen nach dem anderen durchschneiden, aber ob ich darum weniger
einsam sein werde – ? Jm Grunde gefällt es mir ja so, oder besser: es
gefällt mir weniger schlecht als früher. Aber trotzdem komme ich mir oft
vor wie ein Kuckuk. Oder wie eine Eule. Liebe ist auch nötig, damit
die Musik so ist wie sie ist, und ich muss noch so viel lernen und
studieren immerfort!

Um bei dem Thema zu bleiben: Du hättest gern wieder einmal ein neues
Werk von mir*: Ich sagte Dir ja von meinen Plänen, Instrumentales sollte



La Leprara
Via del Fontanile
Marino (Roma)

es sein nach Möglichkeit. Oder aber, was ich gern für Fischer-Dieskau schreiben
würde, einen ganzen Abend Shakespeare-Sonnette[sic], 2 mal sechs, in der
Nachdichtung von Paul Celan*. Ich habe lange mit F.D. über diesen Plan
gesprochen, er wäre sehr glücklich wenn ich ihm das schreiben würde. Mit
Kammerorchester, etwas grösserem.*

Oder aber ein Klavierkonzert für Christoph Eschenbach. Ich weiss nicht ob Du
schon von dieser phaenomenalen Begabung gehört hast: Das ist wirklich ein
Geschenk des Himmels. Für ihn würde ich gern ein Konzert schreiben.*

Oder aber ich mache Dir „Les follies d’Espagne “ für eine Orchester-
besetzung in der Grösse eines Beethoven-Orchesters, sodass Du es mit
dem Züricher Collegium machen könntest. Letzteres war ja die Sache, die
mir am Herzen lag.*

Hier hast Du drei Vorschläge, d.h. dies sind die drei Werke, die ich nun
schreiben werde, wenn ich die kleinen Schulopern (auf reizende Texte von
Auden) für Cincinnati fertig habe. Auch soll ich ein Oratorium für Hamburg
schreiben, aber das eilt nicht so. Also Du kannst auswählen!

Ich möchte übrigens darauf aufmerksam machen, dass es hier weder im
Frühling noch im Herbst heiss ist!
Bedenket dieses bitte!

Übrigens habe ich keine anständigen weissen Trüffel mehr gefunden, der Regen
hat dieses Jahr alles versaut.

Bitte grüsse die Maja viel tausendmal!

Alles liebe für Euch
Euer
hans werner

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Paul Sacher
    Signatur: Korrespondenz Hans Werner Henze

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • helles Briefpapier Henze, dünn wie Durchschlagpapier
    • Faltung: 2mal quer
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 295x210 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Rand links: 3 cm; Anführungszeichen unten oben; kein Einzug

Schreibstile

Textkonstitution

  • "wirst""bist" durchgestrichen und ersetzt mit "wirst"
  • "… einstweilen nur so be antworten"Korrekturspuren am letzten Buchstaben.
  • "Sonnette"sic

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