Brief von H. W. Henze an H. M. Enzensberger, 26. Juni 1975

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[Manuskript]

La Leprara
00041 Marino (Roma)

26 Juni 75
lieber Mang,

Deinen langgereisten lieben brief aus Portugal beantworte
ich in Köln (wo ich „Tristan“ für die T.V. aufnehme)*
und freue mich Dir zu schreiben. neben mir im bett
liegst Du als reptil und romanfigur! bin aber erst an
der stelle wo Dein norwegischer gast verspätet ankommt
und der tee schon auf dem tisch steht, in Deiner villa
in Friedenau.

     München war auch mir nicht unangenehm*, aber der Moszkowicz
– der meine schuld ist – der will mir nicht aus dem sinn.
er ist einfach ohne talent und ohne mut und ohne
humor. auch ohne sarkasmus. kunstlos und dämlich. in
den nächsten tagen werde ich hier besprechen wie man das
stück am besten auf die kohlenpott-bühnen kriegt.

     inzwischen hab ich schon wieder am river gearbeitet. fast
eine szene durchskizziert. übernächste woche geht es weiter.

     gute nachrichten über El Cimarrón: das alte team* wird
nächstes jahr damit eine lateinamerika-tournée machen, 25
städte. und ich werde das stück einem italienischen team
einstudieren, jungen leuten, nächstes jahr in Siena, und sie werden
die Toscana, Emilia, Romagna durchreisen. ähnliches ist geplant
für Holland (auf holländisch) and, of course, the U.K.
where on August 11, this year, at the Round House in London,
an English version will be premiered and will go on a
tour then
.* erinnere Dich meiner worte über das was mit meiner


La Leprara
00041 Marino (Roma)

arbeit zu geschehen begonnen hat. auch La Cubana wird
ähnliches erleben, es braucht nur eine weile. der
kampf gegen die dummheit ist langwierig.

        2 lustige (!!!!!) abende mit Gastón in Marino.*
nicht ohne homöopathische beilagen, in form des wunder-
grases: kein hälmlein wächst auf erden ...*

ich möchte auch gern nach Portugal. versuche über die
musik einzureisen. vielleicht sollte ich einer gruppe eine
portogiesische[sic] fassung des Cimarrón einstudieren.

die glocken des kölner doms schallen über mir mit
riesen coglioni

ja, und der „linksrutsch“ in Italia!* es ist ja solch eine
euphorie und echte freude gewesen! wir waren in Bologna
bei der wunderbaren Vespignani-vernissage*, und auf der
rückreise sind wir durch die Emilia, Romagna, Umbria,
Lazio gefahren. überall rote fahnen auf den türmen
der alten female townships. und ich auf der Piazza
S. Giovanni
unter 250.000 glücklichen Römern, war sehr
bewegt, wollte einer von ihnen ganz und gar sein und
ohne vorbehalt. verstand warum man in eine partei
gehen kann. rührend war es auch, so wie kinder waren sie,
rein und einfach.

e quando si vediamo, eh? Cosa fai, dove vai? Stai
in Norvegia, allora? or o a Berlino? Chissà.

Dammi tre notizie. Lavora bene und sei glücklich über Deine intelligenz und
Deine phantasie. arbeite und lebe wohl! auf bald!Dein hans

Übersetzung von

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Deutsches Literaturarchiv Marbach (D-MB), A: Enzensberger, Hans Magnus
    Signatur: Briefe Hans Werner Henze

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • blaues Briefpapier; WZ: das übliche PEINEDER
    • Faltung: 1 mal quer, dann längs: 5cm vom lR und 9cm vom rR; im Papier ist noch eine zusätzliche Schrägfaltung, siehe Notizen
    • Umfang

    • 2 Blätter
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 295x215 [mm] (HxB)
    • Layout

    • beschrieben mit ca. 3cm Rand links
    • Ab "Dammi tre notizie..." seitlich auf dem linken Rand geschrieben, 270° gedreht
    • Anführungszeichen eher oben (Abweichungen verzeichnet); die Absätze hier ca. 1 bis 1,5cm eingerückt, auf Seite 2 der erste stärker (2cm), Rest wenig

Schreibstile

Textkonstitution

  • "portogiesische"sic
  • "or"durchgestrichen
  • "… Dein hans"Wegen des knappen Platzes am Ende des Blattes sind die üblichen Zeilenwechsel bei der Grußformel hier nur ganz schwach angedeutet.

Einzelstellenerläuterung

  • "… Tristan für die T.V. aufnehme)"Hierbei handelt es sich um Musikaufnahmen zu dem Film „Tristans Klage – nach Musik und Texten von Hans Werner Henze“ von Klaus Lindemann. Vgl. hierzu: Heinz Josef Herbort, „Worüber klagt Tristan? H.W. Henzes ’Préludes’ szenisch-surrealistisch“, in: Die Zeit Nr. 21 (18. 5. 1979). In diesem Beitrag wird allerdings behauptet, dass die Musik erst 1976 aufgenommen wurde.
  • "… war auch mir nicht unangenehm"Hier spricht Henze von der szenischen Uraufführung von „La Cubana“ am 28. Mai 1975.
  • "… Cimarrón : das alte team"Hier meint Henze das Team der Uraufführung: William Pearson, Bariton; Karlheinz Zöller, Flüte; Leo Brouwer, Gitarre; Stoma Yamash’ta, Schlagzeug.
  • "… on a tour then ."Diese Fassung wurde am 11. August 1975 im Rahmen der Prom 18 aufgeführt; vgl. hierzu das Archiv der Proms und den Bericht in der Autobiographie S. 416.
  • "… mit Gastón in Marino ."Henze hatte in den letzten Briefen über Probleme im Kontakt mit Gastón Salvatore geklagt.
  • "… hälmlein wächst auf erden ..."Erste Zeile eines deutschen Volkslieds.
  • coglioni
    • vulgär für Eier, Hoden
  • "… der linksrutsch in Italia !"In Italien hatten Kommunalwahlen stattgefunden, bei denen die Kommunisten stark gewonnen hatten.
  • "… bei der wunderbaren Vespignani -vernissage"Am 18. Juni 1975 wurde in der Galleria d’arte moderna in Bologna eine Ausstellung unter dem Titel „Renzo Vespignani: tra due guerre; fascismo 1922–1943“ eröffnet. Vgl. hierzu auch den Brief an Friedrich Hitzer vom 1. März 1975.
  • e quando si vediamo, eh? Cosa fai, dove vai? Staiin Norvegia, allora? o a Berlino? Chissà.
    • und wann werden wir uns sehen, hm? Was machst Du, wohin gehst Du? Bleibst Du in Norwegen? Oder in Berlin? Wer weiß.
  • Dammi tre notizie. Lavora bene
    • Schreib mir drei Notizen. Arbeite gut.

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        Dank

        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

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