Brief von H. W. Henze an W. Jockisch/G. Weil, frühestens am 10. September 1950

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[Manuskript]

liebes äffisches pack,

hoffentlich seid Ihr guter dinge und in egern, denn ich möchte
gern mit zehden und seiner kaida nochmal für ein paar
tage kommen. habe hier* sehnlichst auf butza gewartet,
aber ich bekam nicht einmal ein lebenszeichen von ihr. so
gern wäre ich mit ihr ein paar tage im pfälzischen
herumspaziert.

große sehnsucht Euch zu sehen, zu riechen, zu schmecken. lumpen-
pack Ihr.

recklinghausen war ein großer erfolg. meine mutter war da, und
heiner avec, es waren gute stunden*. nach kranichstein*, wo ich
einen riesenerfolg hatte*, aber z.t. sehr bösartige presse, schrieb
ich das 3. bild zu ende (konnte es in egern nicht
schaffen, weil Eure gisi uns herausgeekelt) und das zwischen-
spiel vom 3. zum 4., alles schon in partitur. überlege sehr
am 4., es muß ein clou werden: große anforderung, die
spannung zu steigern, nach dem 3. zwischenspiel.

habe in interviews immer wieder auf grete weil hingewiesen,
und etwas beunruhigung geschaffen durch nebulose andeutungen
über das sujet.

kontrakt in wiesbaden unterzeichnet, sehr nett behandelt und
recht großzügig. erwarte nichts und habe keine ambitionen,
will nur ruhig arbeiten können.*

möchte es bei Euch noch recht nett haben. ein bißchen
angst vorm winter in einer fremden stadt. wenn ich nur
gar keine menschen finde! vielleicht geht zehden auch nach
wbd., er wird kaida demnächst heiraten und wir ziehen
dann vielleicht zusammen. sonja war gut in form, aber
anstrengend, weil sie nur über ihre dinge redet, ein zeichen
für persönlichkeit, aber man soll doch immer daran arbeiten,
anderes und vor allem recht viel objektivität darüber zu
stellen. ein überbau, der sich auch als unterbau aus-
wirkt.

herzliche freude über kafka, lese dauernd darin.* grete,
alte benz-ziege*, innigen dank. warum nur bist Du hier
nicht erschienen?

lieber walter, ich konnte nichts machen wegen maggio musicale,
scherchen war sehr beschäftigt*, mit seinen partituren und seiner
neuen (8.) frau*, auch über die ballett-pläne fiel kein wort.


vielleicht kann er aber an der „tribüne“ dirigieren und
man kommt so in connex. darüberhinaus war es reizend
in darmstadt: lauter kluge junge leute, und wir haben
uns alle gut verstanden. reinhold schubert und peter
lachmund
, komponist und der andere IGNM-mann, habe
ich Euch zum branitzer platz * geschickt zwecks verhandlungen.
dann habe ich mächtig auf die pauke gehauen wegen Deiner
berliner pläne, vor allem bei der presse.

mitten in so einer großen arbeit zu stehen, macht glücklich.
ich setze jeden akzent mit grösster subtilität und möchte
ein abgerundetes kunstwerk machen. auch die neuen pläne
für die zukunft fasse ich in ruhe und bedachtsamkeit.
es war so schön am tegernsee! bin ein ganz anderer
mensch geworden und so froh, mit Euch so herzlich zu
stehen. werdet mir nicht untreu. Ihr kennt mich und
und ich liebe Euch und Ihr dürft mich nie verraten.

herzlichst Euer
hänschen

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Stadtbibliothek München (D-Mst), Monacensia
    Signatur: GW 31

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • beiges glattes Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Umfang

    • 1 Blatt
    • 2 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 296x210 [mm] (HxB)
    • Layout

    • Rand: 4cm

Schreibstile

Textkonstitution

  • "za""zi" ersetzt durch "za"
  • "und"durchgestrichen

Einzelstellenerläuterung

  • "… nach 10. September 1950"Der Brief muss bald nach dem Konzert in Recklinghausen am 10. September 1950 geschrieben worden sein, da Henze anschließend noch einmal nach Egern wollte.
  • "… paar tage kommen. habe hier"Der Brief dürfte aus Darmstadt geschrieben worden sein.
  • avec
    • mit, ebenso
  • "… , es waren gute stunden"Nach dem Brief vom 12. August dirigierte Henze am 10. September 1950 in Recklinghausen sein Violinkonzert. Melos berichtet über den „Monat der jungen Generation“ im Mai 1951 auf S. 148: „Hans Werner Henze, der Schüler Wolfgang Fortners, kam mit seinem Violinkonzert, das in frei gehandhabtem Zwölfton-Stil geschrieben ist und dem ungeheuer schwierigen Solopart einen mit starkem Blech, Klavier, Celesta, Xylophon und Harfe bestückten Orchesterapparat aufoktroyiert. Neben vielen Strecken, auf denen das Werk die hohe Begabung des knapp fünfundzwanzigjährigen Autors erkennen lässt, findet sich noch einiger Leerlauf, den der voranpeitschende Rhythmus überbrückt. Der Solist Heinz Stanske bewältigte seine Aufgabe mit souveränem Spiel.“
  • "… gute stunden . nach kranichstein"Die Ferienkurse für Neue Musik fanden 1950 vom 12. bis 28. August statt.
  • "… wo ich einen riesenerfolg hatte"Von Henze wurden in diesem Jahr am 20. August die Variationen für Klavier op. 13 gespielt, und im Abschlusskonzert am 27. August die 2. Sinfonie; vgl. auch weiter unten im Brief.
  • "… will nur ruhig arbeiten können."Hiermit waren die Verhandlungen mit Wiesbaden, die in den vorangehenden Briefen mehrfach angesprochen worden waren, abgeschlossen.
  • "… kafka , lese dauernd darin."Vielleicht führte diese Lektüre von Kafka schon zu der Rundfunkoper Der Landarzt, die Henze 1951 für den Nordwestdeutschen Rundfunk schrieb.
  • "… darin. grete , alte benz-ziege"Wahrscheinlich eine Anspielung auf Grete Weils Leidenschaft für Autos.
  • "… , scherchen war sehr beschäftigt"Hermann Scherchen wirkte bei den Darmstädter Ferienkursen 1950 mit.
  • "… und seiner neuen (8.) frau"Hermann Scherchen war 5mal verheiratet. Vielleicht meint Henze hier schon Pia Andronescu, die Scherchen 1954 heiratete.
  • "… ich Euch zum branitzer platz"Walter Jockisch und Frau wohnten zu dieser Zeit in Berlin am Branitzer Platz; vgl. den folgenden Brief.

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        Mit freundlicher Genehmigung der Hans Werner Henze-Stiftung (Dr. Michael Kerstan).

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