Brief von H. M. Enzensberger an H. W. Henze, 17. Oktober 1970

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[Typoskript]

17. 10 [1970] *
Cher Executeur des Hautes Oeuvres (diesen Titel hat Valéry sich einst
zugelegt)

ja Keenes Übersetzung* ist gut und singbar und ich schick sie ihm mit ein
paar Commentarios nach New York zurück.

Von Schotts Söhnen kein Mucks. Denen setze ich jetzt das Pistolet mit
Perlmuttergriff auf die Hühnerbrust und sage ihnen: ohne Verträge über
a) Cimmxxxx Cimarrón und b) Rachel keine einzige Zeile Text. Anders
kann man mit diesen Gangstern wohl nicht reden. Haben sie erst in
der Tasche was sie von einem wollen so hörest du von ihnen nimmer
einen Hauch.*

Heute kommt der widrige Herr Adler aus New York und will partout mit
mir zu Abend essen. Eigentlich habe ich mit ihm nichts zu besprechen.
Er lud mich ins Hilton ein, das aber ist denn doch zu viel.

Alle diese Dummheiten hindern mich indessen nicht. Ich arbeite jetzt
an einer genauen Synopsis* in der bis auf die einzelnen Nummern genau
der Ablauf, die Szenerie, die Verteilung der Personen auf der Bühne
festgelegt wird. Das ganze gibt fünf Akte mit einem kleinen Vor- und
Nachspiel und je einem kleinen Intermezzo zwischen den Akten.

Es kommen auch einige manifest politische Sachen vor, aber so daß
Rachel sie gar nicht wahrnimmt, sozusyagen natürlüxxxxxxx naturwüchsig, als
Teil der Szenerie von Habana, wie Häuserecken oder Bäume. Ich bin
entschieden dagegen, von dieser Seite her lehrhaft zu werden. Der
Sinn der ganzen Sache ist ein falsches Bewußtsein als falsches Bewußt-
sein zu zeigen, in dem es auf die Spitze getrieben wird, nicht aber
ihm ein richtiges demonstrativ entgegenzusetzen. Die Musik müßte dem
entsprechen, und ich glaube, es geht auch nur so: man müßte falsche
Musik als falsche hören und hörbar machen, nicht ihr eine vermeintlich
"richtige" entgegensetzen, die es im Cuba Rachels gar nicht geben kann,
es wäre denn als Ahnung oder Erinnerung in kleinen Fetzen, die nicht zu
fassen sind.

In der Zirkus-Szene habe ich vor, den Cimarrón als Anführer auftreten
zu lassen, auch wenn das historisch nicht stimmt. Ein solches Selbstzitat
ließe auch musikalische Allusionen zu und wäre politisch sicherlich
richtig.

Es wäre von kardinaler Bedeutung, den letzten Schliff an die Sache in
Cuba zu legen. Wir müssen beide unbedingt hin. (Im Dezember fahre ich
wahrscheinlich nach Venezuela.)      Sag mir ob die die Synopsis haben
willst.      Leb wohl und bleibe so unverdrießlich wie dein Brief

abrazos            mang

Apparat

Verantwortlichkeiten

Herausgegeben von
Irmlind Capelle
Übertragung
Irmlind Capelle

Überlieferung

  • Textzeuge: Basel (Schweiz), Paul Sacher Stiftung (CH-Bps), Sammlung Hans Werner Henze, Abteilung: Korrespondenz

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Brief
    • Material

    • dünnes helles Papier
    • Faltung: 2mal auf DinA6
    • Umfang

    • 1 Blatt
    • 1 beschriebene Seite
    • Abmessungen: 296x209 [mm] (HxB)
    • Layout

    • anderthalbzeilig, kein Einzug, keine Leerzeile

Schreibstile

Textkonstitution

  • Folgend: handschriftlich, Kugelschreiber (schwarz), Enzensberger, Hans Magnus
  • Folgend: Typoskript
  • "K""k" ersetzt durch "K"
  • "Cimm"gelöscht durch Überschreibung
  • "a""s" ersetzt durch "a"
  • "a""e" ersetzt durch "a"
  • "d""f" ersetzt durch "d"
  • "natürlü"gelöscht durch Überschreibung
  • "C""c" ersetzt durch "C"
  • "… so unverdrießlich wie dein Brief"Dieser Satz endet ohne Punkt
  • Folgend: handschriftlich, Kugelschreiber (schwarz), Enzensberger, Hans Magnus

Einzelstellenerläuterung

  • "… 17. 10 1970"Dieser Brief bezieht sich direkt auf Henzes Brief vom 12. Oktober 1970, woraus sich die Datierung auf 1970 zweifelsfrei ergibt.
  • Cher Executeur des Hautes Oeuvres
    • Lieber Vollstrecker großer Werke
  • "… ja K eenes Übersetzung"Am 12. Oktober hatte Henze die Übersetzung des "Cimarrón" von Keene an Enzensberger zur Prüfung geschickt.
  • "… nimmer einen H a uch."Anspielung auf Goethes "Wandrers Nachtlied".
  • "… jetzt an einer genauen Synopsis"Diese Synopse, deren Erhalt Henze am 12. November 1970 bestätigt, hat sich in der Paul Sacher Stiftung erhalten. Sie umfasst 7 Seiten und trägt den Titel "Rachels Erzählungen. Oper von Hans Werner Henze und Hans Magnus Enzensberger nach Motiven von Miguel Barnet". Das Exemplar im Henze-Nachlass enthält den handschriftlichen Zusatz: "Stand vom 1.11.1970 | con cariño m."
  • "sozusyagen"recte "sozusagen".
  • "die die"recte "du die".
  • abrazos
    • Umarmungen

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        Dank

        Mit freundlicher Genehmigung der Erbengemeinschaft Hans Magnus Enzensberger.

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