Grete Weil, „Über meine Zusammenarbeit mit Henze“

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Über meine Zusammenarbeit mit Henze

Deutschland 1948: Krieg und Faschismus noch nah, aber vorbei, endgültig vorbei wie wir meinten, alles im Aufbruch, voll Hoffnungen, Plänen, Begegnung mit neuen Menschen und der während unserer Isolation im Ausland entstandenen Kunst. Walter Jockisch, Opernregisseur, und ich, beide um die Vierzig, lernten den jungen Henze bei den Internationalen Ferienkursen für Neue Musik auf Schloss Kranichstein kennen, dort, wo so vieles Unbekannte zum ersten Mal erklang. Ein schmales, verhungert aussehendes Bübchen mit dem nervös-sensiblen Gesicht eines Menschen, der, zu jeder Freude bereit, schon um das Leid weiss, gegen das er ankämpfen wird mit grosser Tapferkeit, am Anfang ganz auf die Schmerzen der Liebe bezogen, erst später beginnt sein politisches Engagement, der Protest gegen Unrecht und Unterdrückung. Er akzeptierte uns, die zwanzig Jahre älteren, als Freunde, wir sahen uns oft, in Stuttgart, Berlin, am Tegernsee, irgendwann kam uns die Idee, eine Oper zusammen zu machen. Wir hatten noch kein Sujet, aber sprachen immer wieder darüber, so müsste es sein, so könnte es werden, bis Henze eines Tages kam und sagte, er habe die Manon Lescaut des Abbé Prévost gelesen, das sei der Stoff. Ein junger Student, der an seiner Leidenschaft zu einem erdgeisthaften Geschöpf zugrunde geht. Die vernichtende Kraft der Liebe, das Ausgeliefertsein des geistigen Menschen, seine Einsamkeit. Ein grosses Thema, Henzes eigenes Thema. Mythos, von dem Franzosen des 18. Jahrhunderts intelligent erzählt, gültig für alle Zeiten. Aber da gab es schon Puccinis und Massenets Manon. Henze und ich kannten die beiden Opern nicht, und wir beschlossen, sie auch jetzt nicht kennenzulernen; wir sahen in ihrer Existenz kein Hindernis für unser Vorhaben, auch wollten wir ja nicht Manon, sondern Des Grieux zum Helden. Manon, das war für uns das elbische Wesen, das Begierde weckt, ohne selbst lieben zu können; die Einsamkeit ist ihr Element, sie kennt nichts anderes, leidet nicht darunter, ist geschichtslos; passiv, ohne Entwicklung geht sie durchs Leben. Natürlich war uns von Anfang an klar, dass wir Prévosts sentimentalen Schluss, den Tod der durch Liebe Entsühnten in der amerikanischen Wüste, nicht brauchen konnten. Das Schicksal Armand Des Grieux’ war das, war wir zeigen wollten, das Immer-tiefer-Sinken, seinen Weg in die undurchdringliche, tödliche Einsamkeit. Zeigen, nicht im Strom einer veristischen oder romantischen Erzählung, nicht als spannendes Drama, sondern in lyrischen Bildern, wo die Orte der Handlung: Bahnhof, Bibliothek, Kaschemme, ebenso wie Drogen, Brief und Schnee, zum Zeichen werden. Wir trafen uns immer wieder zu dritt, bis wir das Szenarium fertig hatten. Die Folge der Bilder war festgelegt, ihr Inhalt bestimmt, jetzt begann für mich die Arbeit am Schreibtisch. H.W. Auden, der später zwei Libretti für Henze schrieb, hat gesagt, das Textbuch sei «ein Privatbrief des Autors an den Komponisten». So habe ich es gehalten. Es ging mir nicht darum, ein für mich gültiges Theaterstück zu schreiben, ich wollte Worte für Henzes Musik finden. Ich änderte nach seinem Wunsch, manchmal schrieb er selber ein paar Zeilen, aber im grossen und ganzen akzeptierte er das, was ich ihm lieferte. Er begann schon besessen an der Musik zu arbeiten, als der Text noch nicht fertig war, der sonst so Gesellige ging in Klausur, ich hörte ihn ab und zu ein paar Takte auf dem Flügel spielen oder auch kurze Stücke aus dem Wohltemperierten Klavier.

Uraufführung war im Februar 1952 in Hannover, mit Johannes Schüler als Dirigenten, Jockisch als Regisseur und dem neunzehnjährigen Jean Piere Ponnelle, auch er mit Henze befreundet, als Bühnenbildner.

Klaus Geitel spricht in seinem Buch über Henze von der «durchsichtigen, ausgependelten Schönheit» dieser Premiere, aber auch von ihrer Schockwirkung. «Es war nicht einmal so sehr die Neuheit der Musik, die befremdete, sondern die Burleske, die sich immer wieder attackierend in die Szenen der Weltentrücktheit und Weltverlorenheit schob. Sie erschien schneidend und antibürgerlich, ein freches Sakrileg an der Gepflogenheit der Oper.» Trotz Buhens und Pfeifens wurde die Aufführung zum grossen Erfolg, zum Durchbruch für Henze.*

Grete Weil

Apparat

Generalvermerk

Die folgende Abschrift folgt dem Programmheft zu „Boulevard Solitude“ aus Basel (Premiere 26. November 1995). Der Text ist hier gekürzt. Wir werden so bald wie möglich, den vollständigen Text nach dem Programmheft zur Aufführung in München 1974 bereit stellen.

Entstehung

Überlieferung

  • Textzeuge: Stadtbibliothek München, Monacensia
    Signatur: GW Ms. 52

    Quellenbeschreibung

    • Dokumenttyp: Dokument
    • Material

    • helles Papier
    • Umfang

    • 4 Blätter
    • 4 beschriebene Seiten
    • Abmessungen: 0x0 [mm] (HxB)
    • Zustand

    • gelocht

      Einzelstellenerläuterung

      • "… zum Durchbruch für Henze ."Geitel, S. 44.

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